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Der Neonator

ROGER JÜRS

Fotos: Giovanni Mafrici | Text: Regine Marxen

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 51

Leuchtröhrenglasbläser. Das ist Roger Jürs’ offizielle Jobbezeichnung. Aber eigentlich kennt man den 54-Jährigen eher unter dem Namen Neon Jürs, so lautet der Name seines Unternehmens. Er produziert Neonobjekte, seine Arbeiten leuchten in ganz Hamburg und darüber hinaus. Der grüne Safari-Schriftzug samt Elefant über der Großen Freiheit, das barbusig-kokette Röhrengebilde in der „Titty Twister-Bar“ oder die gelben Lettern, die über dem Hansa-Theater strahlen: Sie alle stammen aus seiner kleinen Werkstatt in Uetersen.

Uetersen? Ja genau. Uetersen. Seit 2014 ist Roger Jürs’ Neonleuchten-Manufaktur in dem kleinen Ort unweit der Hansestadt zu finden. Er selbst ist ein echter Hamburger Jung, geboren in Barmbek, aufgewachsen in Eimsbüttel. Jetzt wohnt er zusammen mit Frau und Hündin Hermine in Schnelsen. Sein Handwerk hat er zuvor viele Jahre in Hummelsbüttel betrieben, in einem Werbeunternehmen, in dem er auch seine Lehre gemacht hat. Er war im norddeutschen Raum nach 19 Jahren der erste Auszubildende in dieser Branche. „Eigentlich wollte ich Optiker werden.“ Obwohl, was heißt, wollte: Eine Lehrerin hatte ihm handwerkliches und kommunikatives Talent bescheinigt. Vor diesem Hintergrund schien ihr die Arbeit mit Glas in Verbindung mit der Kundenberatung der perfekte Job für den jungen Jürs zu sein. „Aber es gab keine Lehrstelle. Also schickte mich das Arbeitsamt zu einer Lichtwerbefirma mit Glasbläserei. Das hatte ja auch etwas mit Glas zu tun“, grinst er. 2004 übernahm er die Leuchtröhrenglasbläserei von seinem Chef und machte sich selbstständig. Die Branche war stabil, seine Auftragslage gut – bis 2006 die LED-Hersteller den Markt übernahmen. „Viele Neon-Glasbläsereien gingen damals pleite. Auch ich habe schwere Zeiten erlebt, machte Schulden, wusste nicht, wie ich meine Miete oder mein Essen zahlen sollte.“ Noch heute läuft ihm ein Schauer über den Rücken, wenn er daran denkt. Viele Zulieferer hätten ihn damals unterstützt. „Mein Wissen über dieses Handwerk war wertvoll für sie. ‚Du musst durchhalten‘, sagten sie.“ Das tat er. Jürs war davon überzeugt, dass es eine Renaissance von Neon gibt. Die Geschäftsräume in Hamburg konnte er nicht halten. In Uetersen fand er eine günstigere Bleibe – und eine neue Zukunft. „Kaum zog ich 2014 hier ein, ging es bergauf. Ich ertrank in Aufträgen.“

So hell die Buchstaben „Neon Jürs“ über dem Eingang strahlen, so dunkel ist es in den Werkräumen. Vor der Tür hängt von innen eine dicke Decke, um auch die letzten Lichtstrahlen auszusperren. „Ich kann sonst die Flamme während der Glasarbeiten nicht gut sehen“, sagt er. Leuchtröhrenglasbläser brauchen es also finster. Und sie brauchen viel Equipment. Brenner, Bombarder, Vakuumpumpen, allerlei Werkzeug und Materialien stapeln sich hier. An den Wänden und in den Ecken hängen Glaskörper-Rohlinge oder in die Jahre gekommene Leuchtobjekte. Sterne, Tannenbäume oder alte Schriftzeichen, eine echte Fundgrube.
„Alte Neonsysteme kann man wieder aufarbeiten. Alles, was an der Neonröhre altert, kann man austauschen, der Glaskörper bleibt erhalten“, erklärt der selbst ernannte Neonator. Der Name geht auf einen seiner Lieblingsfilme zurück, auf den Actionstreifen „Terminator“. Rechts hat er sich als Hommage einen biomechanischen Arm tätowieren lassen, ein Geflecht aus stählernen Muskeln in Tinte gegossen. „Ich liebe Technik, ich bin zum Beispiel ein leidenschaftlicher Autofahrer. Nur bei der Leuchtröhrenherstellung arbeite ich oldschool.“ Viele würden mit vorgeschlämmten Glasröhren arbeiten. Bei ihm sei noch alles Handarbeit.

Das heißt: Erhitzen und Verformen der langen Glasrohre in der Flamme, Anfertigung und anschließende Reinigung der Glaskörper, Beschichtung der Glasinnenwände mit Bindemittel und Leuchtstoff, Anschmelzen der Elektroden, Vakuumerzeugung, Befüllung der Glaskörper mit Edelgas und Einbrennen des Gases unter Hochspannung. Vereinfacht gesagt. Sehr vereinfacht. Die Ausbildung zum Leuchtröhrenglasbläser dauert drei Jahre. Das hat seinen Grund, die Sache ist komplex. „Das erste Jahr produziert man dabei nur für die Tonne. Frustrierend.“ Mit dem, was Roger Jürs heute tut, bewegt er sich geschickt zwischen Kunst und Kommerz. Er arbeitet für Firmen, Schausteller und Privatpersonen, produziert Neon-Logos oder auch leuchtende Dackel. Den Kiez hat er geprägt, ohne seine Werke ginge es hier weitaus düsterer zu. Die Fassade des „Pink Palace“ stammt ebenso von ihm wie so mancher Hotel- oder Barschriftzug. Aber er restauriert auch alte Leuchtobjekte. So geschehen mit dem Namenszug des Hansa-Theaters. Er mag Herausforderungen. Für die Hamburger Kunsthalle hat der den „Marching Man“ von Bruce Nauman sowie Neon-Kunstobjekte von Mario Merz und Joseph Kosuth nachgebildet, inklusive der Fehler des Originals. Hamburgs Neonator hat ein genaues Auge. „Man spricht in diesem Handwerk von einer Toleranz bei den Glasarbeiten um die fünf Millimeter. Mein Standard liegt bei zwei Millimeter.“ Irgendwann, so der Plan, soll die Kunst in seinem Schaffen überwiegen. Schon jetzt arbeitet Roger Jürs an eigenen Neonobjekten, aber auch namhafte Künstler wie Mariella Mosler, Grit Richter oder Ole Henrik Hagen schätzen seine Fertigkeiten. Auf sein Konto gehen einige ​Neon-Art-Installationen, beispielsweise der über 20 Meter breite, rot leuchtende Schriftzug „TOBUY IS TOCREATE“, den er 2009 im Auftrag eines Künstlerpaares für die Bien­nale in Venedig angefertigt und installiert hat. „Jede Neon-Arbeit verbinde ich mit Erfolg“, erklärt Roger Jürs zufrieden. „Wie großartig, dass man ein Leuchtmittel selbst herstellen und so kunstvoll gestalten kann.“ Sein Kopf sei noch voller Ideen, nur an Zeit mangele es manchmal. „Hier wird noch viel entstehen, vielleicht sogar eine kleine Galerie.“ Die wird leicht zu finden sein: Folgen Sie einfach dem Neonlicht.

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