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Proto-Typen

PROTOTYP MUSEUM

Text: Susie von den Stemmen | Fotos: Jan Northoff

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 60

Ein VW-Kübelwagen, dieses kantige Nutzfahrzeug der Bundeswehr, stiftete eine Freundschaft, war das erste gemeinsame Projekt von zwei Automobil-Enthusiasten. Sie nennen sich „fast Verrückte“, Oliver Schmidt und Thomas König. Das war vor 30 Jahren. Thomas hatte sich das rostige Ding angelacht, nix Nobles für 500 DM, zum Spaßhaben. Das Restaurieren hat aber allein nicht so gut geklappt. Glück, dass Kumpel Oliver sich auch für das Thema begeistern konnte. Thomas: „Wir fanden das beide recht großartig, denn wir haben festgestellt, dass es nicht nur die Arbeit enorm erleichtert, sondern auch die Kosten halbiert.“ Zu zweit mehr Spaß für weniger Geld: Daraus wurde ein Team, das sich dann auch beruflich bewährt hat, zwischenzeitlich sogar verschwägert, heute noch „im Herzen“. Oliver, der Projektentwickler und Betriebswirt, Thomas, der Architekt – die Immobilien GmbH unter beider Namen ist ihre Basis, der Sitz im historischen Fabrikgebäude sozusagen das Fundament und das Automuseum „der leidenschaftliche Part, die Krönung“, so sagt der Herr König.

Die beiden laufen auf der gleichen Drehzahl, das merkt man sofort. Autos finden sie toll, wie sich eine individuelle Sammlung halt entwickelt, hier mit Fokus auf VW und Porsche aus der Nachkriegszeit. Doch vor allem interessieren sie sich für die Menschen und Geschichten, die dahinterstecken: Als sie beide noch nicht das Geld hatten, Autos zu kaufen, befriedigten sie ihren Wissensdurst mit Reisen. Besuchten zum Beispiel in Hannover die Witwe des Rennfahrers Petermax Müller, die sich famos freute, dass sich überhaupt 50 Jahre nach dem Weltrekord noch jemand interessierte, und die jungen Männer zwischen den Mäusekisten auf dem Dach auf Schatzsuche gehen ließ. Fotos, Pokale und zwischen den Kartoffelkisten im Keller das Weltrekords-Zertifikat – das war den beiden „emotionales Gold“. Mit der Unterstützung der Witwe konnten sie dann tatsächlich den echten Weltrekordwagen ausfindig machen und haben ihn gekauft. Trägt die Nummer 41, Baujahr 1949, Spitze 215 km/h, 550 kg stromlinienförmiger Leichtbau, von Müller selbst designt auf Kübelwagen-Chassis. Das war das dritte Stück in Schmidts und Königs Sammlung und nur Auftakt zu mehr.

So gezündet, leisteten sie sich in den 90ern ihren ersten, damals 30 Jahre alten Porsche 356, den sie selbst restaurierten. Keine schlechte Investition. Doch ums Geld ging es beiden gar nicht. Auch nicht um „Leistung, um höchste Geschwindigkeit, sondern viel um das Thema Ästhetik und Kunst am Automobil“,
Oliver meint die eleganten Linien. Und zeigt uns den ältesten in Deutschland produzierten Porsche, den es auf der Welt noch gibt. Bau­num­mer 6, ein wahres Glanzstück: fahrtüchtig, ein Ausstellungswagen von Porsche und dem Karosseriebauer Reutter, deswegen hat er diese verrückte Farbe, fast goldrot. Es war aufwendig, den Metallic-Lack originalgetreu zu restaurieren, der seinerzeit aus Fischschuppen gemacht wurde, mit dem Strohhalm reingepustet. Unter den Exponaten sind auch vergleichsweise junge Filmstars wie „Herbie“, einer der rund vierzig „tollen Käfer“, der die Dreharbeiten 2005 dank Co-Star Lindsay Lohan überlebte. Der Jordan 191 F1, mit dem Michael Schumacher 1991 seine Karriere in der Formel 1 startete, der Prototyp vom AUDI R8R LMP (1998) und Toyota TF110 Formel 1 (2009), ein zukunftsweisender Porsche 919 Hybrid LMP1 (2017) stehen hier. Porsche feiert in diesem Jahr 75. Jubiläum, das Automuseum PROTOTYP immerhin schon 15. Geburtstag. Inzwischen umfasst die Dauerausstellung zu den Hunderten Automobila – so nennt man die Pokale, Zeichnungen, Werbegrafiken, Urkunden, Helme der Fahrer und alles rund um den Sport herum – zirka 90 Automobile, wuchs jüngst um 40 Stück auf einen Streich an: „The Italian Job“, heißt die seit Juli neue Erweiterung der Dauerausstellung mit Lamborghini, Maserati, Ferrari. Jeweils fünf Italiener werden abwechselnd im Main Loft East gezeigt.

So um das Jahr 2002 befassten sich die derweil erfolgreichen Geschäftsleute Oliver und Thomas mit ihrem Traum: die schon gewachsene Sammlung öffentlich zu präsentieren. Nicht irgendwo sollte es sein, und genug Platz brauchten sie auch. Und, oh Wunder, das war damals gar nicht so schwierig. Tatsächlich im „Hamburger Abendblatt“ stand dieses historische Fabrikgebäude in der Rubrik Immobilien zur Annonce. Lage? Damals noch im Freihafen, rundum Wüste, Abbruch des Hannoverschen Bahnhofs noch im Gange. Trotzdem schlugen die beiden an der Grenze der entstehenden Hafencity zu. Wie sich später zeigte, auch nicht die schlechteste Investition. Aber wieder hatte sie eigentlich die Geschichte verleitet: Auf dem ehemaligen Teil der Wallanlagen, der Schanze Leopoldus, erbaute der später als „Stockmeyer“ bekannte Unternehmer H. C. Meyer 1836/1837 seine Spazierstock- und Fischbeinfabrik, nicht nur die erste mit Dampfmaschine im Haus, auch das erste Industrieunternehmen Deutschlands, das seinen Arbeitern Sozialfürsorgeleistungen bot. Seine Zeit im Blick erwarb er das Patent des Amerikaners Charles Goodyear zur Herstellung von Hartgummi aus Kautschuk – wir sehen die Reifenspuren, die in die Zukunft führen – und produzierte fortan mit der Harburger Gummi-Kamm-Compagnie auch Kämme, die fürs Haar, ein Verkaufsschlager. Oliver und Thomas fanden die bei den Bauarbeiten übrigens haufenweise gut erhalten neben vielen leeren Flaschen aus damals in Hamburg aktiven Brauereien. Weitere Architekturgeschichte kurz gemacht: Bis 2002 arbeiteten im Haus die Offset-Drucker der Graphischen Kunstanstalt Schultz, die unter anderem Tankstellenplakate fertigten. Irgendwie ist die Geschichte des Hauses auf seine heutige Bestimmung hi­nausgelaufen. Und, so ist sich Oliver sicher: „Mit uns ist das auf der langen Reise nur eine weitere Nutzung.“ Sie haben das Gebäude vor dem Umbau unter Denkmalschutz stellen lassen, um das zu garantieren.

Und dabei nebenbei eine der coolsten, vielleicht noch nicht so bekannten Event-Locations der Stadt geschaffen: unter dem dreigeschossigen Museum und darüber, auf der Dachterrasse, und im begrünten Innenhof. Nicht nur, dass bis zu 1200 Gäste hier Platz finden, auch eröffnet bald im Nachbargebäude ein namhaft feines Restaurant, startklar fürs Catering. Und dann ist da noch Thomas’ dritte Leidenschaft, die Musik. Im zweiten Untergeschoss stehen in der Pop-up-Bar Lautsprecher, genau wie die Autos, sind sie vintage: hatte Phil Collins bei der Produktion von „In The Air Tonight“ in seinem Studio. Sie haben den etwas obszönen Namen Half-Bottom, der sich beim Betrachten der Form erklärt, der Klang ist der Hammer. Nach Hamburg kommen deshalb DJs, die sonst niemals in einer so „kleinen“ Bar auflegen würden – einfach nur, weil es so besonders ist und ihnen Spaß macht. Und vielleicht auch, weil sie mal, wie jeder geneigte Museumsbesucher, im Original 1956er-Porsche 356 Cabriolet über die Rennstrecke Silverstone von 1967 bei 190 bis 200 km/h Spitze düsen wollen, das Force-Feedback-Lenkrad des Fahrsimulators gibt genügend Widerstand, um echt ins Schwitzen zu kommen.

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