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Freak Scene

VATER DER FREAKS

Jeder in Hamburg kennt sie: die Freaks. Schwarz-weiße, kastenköpfige Figuren mit Oberkörper und ohne Beine. Mal mit Fisch, mal mit Flasche in der Hand, mal mit und mal ohne Bart. Immer freundlich, irgendwie immer positiv, auf haushoher Street-Art oder filigranem Kupfer. Doch Rebelzer – den Typen hinter der Kunst – den kannte bisher kaum jemand! 

Text: Jörg Fingerhut | Fotos: Julia Schwendner

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 66

Rebelzer ist der extrem produktive Vater der Freaks und als Person, mit bürgerlichem Namen Sebastian, öffentlich bisher deutlich weniger präsent als sein bekanntestes Motiv. Dabei ist er mit seinem Laden in der Hein-Hoyer-Straße seit fast einem Vierteljahrhundert immer mittendrin im Kiez auf St. Pauli. Es hätte natürlich alles ganz anders kommen können. Um ein Haar hätte er als junger Kerl aus dem Ruhrpott einen Laden in Australien übernommen. Aber er ist nach einem Jahr zurückgekommen und hat sich – wie sympathisch – bei der alternativen Überlegung für seine ersten beruflichen Schritte zwischen Hamburg und Berlin dann vorsichtig für Hamburg entschieden.

„Die Wurzeln unter Tage, das Herz an der Küste.“ Denn wenn es nicht geklappt hätte, wäre es in Hamburg einfach leichter gewesen, einen Container für den Rückzug nach Australien zu verschiffen. Aber es hat ja geklappt. Und wie! Seine Freaks sind heute echt überall. Der Vater der Freaks hat auch eine Mutter. Und die hat mal gesagt:

„Alles, was du nicht haben kannst, kannst du dir malen.“

Wahrscheinlich ist das der Ursprung von allem in dieser Geschichte. Irgendwo im Pott bei Dortmund. Wie das aussehen kann, wenn jemand malt, hat der junge Rebelzer dann entlang einer damals neuen S-Bahn-Strecke entdeckt. Aus der Bahn hat er zum ersten Mal bewusst Graffitis gesehen. Das fand er so unglaublich, dass er die Strecke danach gleich noch mal abgegangen ist, um sich alles in Ruhe anzu-gucken und in sich aufzusaugen. 

„Es ist ein totales Glück, dass Menschen das schön finden, was ich mache“, sagt Rebelzer heute. Dahinter steht eine Entwicklung, die sich über die letzten Jahrzehnte über Ausbildung, Studium und Selbstständigkeit langsam aufgebaut hat. In den 90ern hat er angefangen und mit seinem Tag und Hochleistungsfolie aus seinem Ausbildungsbetrieb experimentiert.

Seiner Liebe zu Buchstaben und der Subkultur Graffiti und Street-Art ist Rebelzer über all die Jahre treu geblieben. Unterwegs ist er immer noch gern und oft. „Paint und travel“ heißt sein Reisekonzept. Mit Vespa,­ Motorrad, Flugzeug oder Zug – gern auch über die kalten Monate – und immer mit einer Sprühdose im Gepäck. Die ersten Freaks hat er schon 1999 in Australien gemalt. Aber es hat bis Mitte der 2000er gedauert, bis die ersten Kunden in seinem Laden auf diese kleinen Bilder gedeutet und gefragt haben, ob diese zu kaufen seien. Der Laden hieß da noch Internationale Schildermalerei Hotzenplott. Und Rebelzer hat dort eigentlich Beschriftungen für Schilder und Leuchtreklamen angeboten. 

Erst 2011 hat er sich an einem Strand mit Blick auf Tarifa ganz bewusst dazu entschlossen, alles auf die Freaks zu setzen und aus seinem Ladenlokal an der Hein-Hoyer-Straße endlich eine reine Galerie zu machen. „Ich möchte nur noch das machen, was mir richtig Spaß macht“, so bringt er die Entscheidung auf den Punkt. Dieser Mut wird bis heute konsequent belohnt. Sein wahrscheinlich bekanntester Freak grüßt seit ein paar Jahren stoisch herzlich von der südlichen Gegen­gerade des Millerntors.

Inzwischen dürfte er zu einem der meistfotografierten Motive Hamburgs gehören. Denn für viele Fans gehört das Selfie mit Freak vor den Heimspielen des FC St. Pauli zum lieb gewonnenen Ritus. Und das sagt ja auch eine ganze Menge über das Motiv aus, das nicht nur auf Hauswänden oder Leinwänden zu sehen ist, sondern auch auf Skateboards und Gravel­bikes. Beispielsweise. Einige Freaks trösten durch ihre stille Anwesenheit in der Kinderchirurgie des UKE die kleinen Patienten.

Sie haben ihren Weg längst auch in andere Städte, Länder und auf weitere Kontinente gefunden. Mindestens ein Freak ziert eine Lehmhütte in Uganda. Das mit Abstand größte Motiv ist an der U-Bahn-Haltestelle Legien-­straße zu bestaunen. Dort durfte sich Rebelzer
im Auftrag der Hochbahn zweimal auf 130 Meter Länge austoben.

Es ist faszinierend zu sehen, wie er den Spagat zwischen den Formaten schafft. Denn im Rahmen eines neuen Projekts wird es wieder deutlich kleiner. Da muss er sich nicht palettenweise um Farbe kümmern. Seine momentanen Arbeiten graviert er mit dem Dremel in den Grünspan der alten Kupferplatten vom Dach der Landungsbrücken, an die er dank Viva con Agua gekommen ist. Konstant gut und stabil bleibt auch hier auf Postkartengröße und mit anderen Materialien als sonst die geschwungene Outline.

Was wünscht sich der Künstler für die Zukunft? Die Antwort kommt ohne Zögern. „Ich hab’ richtig Bock auf viele große Wände! Es gibt noch eine Menge freie Flächen in Hamburg, Deutschland und der Welt.“

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