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Porträt –

Willkomm-Höft, ahoi!

 

 

AUTOR: DAVID POHLE

FOTOS: RENÉ SUPPER, RALF SVENOSEN

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 44

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Ohne Wolfgang Adler wäre hier heute gar nichts los. Adler begrüßt uns jovial, trägt die Uniform eines Korvettenkapitäns oder auch eines ersten Offiziers der Handelsmarine, ist aber weder das eine noch das andere, wobei man ihm beides ohne Zögern glauben würde. Das ist aber auch keine Folklore, Adlers Job ist wichtig. Sagt Adler. Es geht um die Pflege von Tradition, um Völkerverständigung  und – last, but not  least – um einen netten Gruß an die Seeleute.


„Moment mal, den dürfen wir nicht verpassen“, Adler ist entspannt, per Schiffsfinder weiß er genau, wann welches Schiff Schulau passiert. Entweder Aufkommer, die von der Nordsee kommen, oder Abgänger, die den Hamburger Hafen Richtung Weltmeere verlassen. Jetzt erscheint die monströse „Ever Given“, nagelneuer 400-Meter-Container-Koloss, der Niedersachsen am anderen Ufer in den Schatten stellt und Platz für rund 20.000 Standard-Container hat. Die taiwanesische Reederei Evergreen hat ausgeflaggt, d. h. das Schiff läuft nun wie viele unter panamaischer Flagge.
Das alles erzählt Adler über die Lautsprecheranlage den vielen Gästen des Schulauer Fährhauses, die hier gerade bei Weißwürsten (obwohl es schon früher Nachmittag ist …) auf der großen Biergartenterrasse mit Logenblick auf Elbe und Schiffe sitzen und die detaillierten Informationen aufsaugen. Insbesondere Männer hören genau hin, wenn Expertenwissen über Länge, Tiefgang, Route, Werft, frühere Namen, Arbeitsgeschwindigkeit und natürlich Bruttoregistertonnen usw. von Adlers sonorer Stimme über den Äther gegeben werden.


Achtung, klar Schiff, Adler drückt nun eine Taste, die Hymne von Panama ertönt. Danach eine andere Taste, etwas scheppernd vom Band kommt: „Willkommen in Hamburg. Wir freuen uns, Sie im Hamburger Hafen begrüßen zu dürfen.“ Und dann noch mal auf Spanisch für Panama, dabei wird die Hamburg- Flagge gedippt, d. h. kurz runter- und wieder hochgeholt, wie eine Verbeugung unter Seeleuten. Gefolgt von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ mit „Steuermann, lass die Wacht“. So kommt man gern an. Adler, vitale 69 Jahre alt, ist Begrüßungskapitän, einer von aktuell fünf stattlichen, älteren Herren, die zwar alle kein Kapitänspatent haben, aber wissen, wovon sie sprechen. Rund 17.000 Karteikarten – teils handschriftlich, teils per Schreibmaschine (!) verfasst – sind bestens sortiert schnell zur Hand. Jedes Schiff, das die gut 100 Kilometer von der Elbmündung Richtung Hamburger Hafen jemals unternommen hat und mehr als 1000 Großtonnen hatte, ist verzeichnet. Der Tanker „Tina Onassis“, in den Hamburger Howaldtswerken gebaut und 1953 der weltgrößte Tanker, kam auf seinem Weg auf die Weltmeere allerdings nur ein einziges Mal vorbei. Die Karte wurde aussortiert, als das Schiff abgewrackt worden war. Gleiches passiert, wenn Schiffe sinken, verloren sind.

 

Die Schiffsbegrüßungsanlage ist weltweit einzigartig. Und alles nur, weil Otto Friedrich Behnke, kurz  O.F.B., der liebe Gott  hat ihn  seit 1964  selig, bereits als kleiner  Junge den Schiffen gewinkt hatte und  es ihn  immer wurmte, weil  nie  jemand  zurückwinkte.  Er war  später als Pächter des schon über 100 Jahre alten Fährhauses legendär. Vor allem liebte er die Seefahrt, die Elbe, den Hafen und natürlich sein großes Ausflugslokal. Für das er eine spektakuläre Idee hatte. Und umsetzte. 1952 eröffnete er – Hans Albers, der Seewolf Felix Graf von Luckner und  die gesamte Hamburger Politprominenz waren zu Gast –  die  Schiffsbegrüßungsanlage,  die  erst zwei Jahre  später den Namen  Willkomm-Höft bekam. Der Name, der nun  weltweit unter Seeleuten bekannt  ist, stammt   von  Alphons Müller, einem  Hamburger Rentner, der damit einen vom „Abendblatt“ ausgelobten Namens-Wettbewerb gewonnen hatte. Adler war schon als kleiner Butscher quasi rechte Hand  des damaligen Kapitäns, lief mit  Fernrohr ans Ufer und meldete, wer da gerade so kam. Heute  sitzt er – eigentlich ist er hier die ganze Zeit in Bewegung – in einem 15m² großen Kabuff mit großer Glasscheibe und  hat  Elbe, Gastraum  und  Terrasse maximal im  Blick. Um ihn herum viel uralte Technik, aber auch moderne Bildschirme, die Schiffspositionen in Echtzeit darstellen, eine Wand voller alter Kassetten, jeweils eine für Begrüßung und eine für  Verabschiedung der Schiffe seefahrender Nationen – immerhin aktuell 152, darunter auch Exoten wie Österreich und  die Schweiz.


Herrmann Brockmann, früher eine bekannte  Stimme  beim  NDR, sprach die Begrüßungen und Verabschiedungen einst ein, das erklärt trotz Digitalisierung das Scheppern. Immerhin muss  Adler  keine  Kassetten mehr suchen und einlegen. Nur China und Japan traute Brockmann sich nicht zu. Kein Problem, ein Küchenhelfer  im  Fährhaus sprach Mandarin, und der japanische Konsul in Hamburg, exotischer Stammgast und  später Verteidigungsminister, übernahm den anderen Part. Vor bald neun Jahren ließ René Schillag, der als neuer  Pächter das Fährhaus  mit  viel  Geld und Aufwand  sanierte und  renovierte, auch gleich die Nationalhymnen digitalisieren, Lautsprecher installieren   und  den  40 Meter hohen   Fahnenmast   aufstellen,  der  die  Flagge Hamburgs,  die  Flagge der Bundesrepublik Deutschland,  die Landesflagge von  Schleswig- Holstein, wozu Wedel eigentlich gehört, was Hamburger bei dieser liebgewonnenen Hamburgensie aber nicht so genau nehmen,  sowie die Signalflagge UW, was gute Reise bedeutet, und  den abgehenden Schiffen als letzter Gruß aus Hamburg mitgegeben wird, im Wind flattern lässt.  So lange ist auch Adler an Bord. Ehrenamtlich. Personalessen, reichlich Kaffee und Bewunderung der vielen Gäste inklusive. Vorher war er sage und schreibe 35 Jahre nicht in Schulau, obwohl er quasi um die Ecke wohnt und in der Stadt arbeitete, womit er Hamburg meint. Adler segelte gern und viel, auch in der Südsee. „Bora Bora, Maupiti, da, wo einst die ,Seeadler‘ von Luckner auf ein Riff lief “, erzählt Adler.


Die Kapitäne wechseln sich tageweise ab. Eine Schicht geht dann immer von vormittags bis Sonnenuntergang, 365 Tage im Jahr, wobei im Durchschnitt täglich rund 50 voll salutfähige, das sind die mit über 1000 Großtonnen, Schulau passieren. Kleinere Schiffe werden auch gegrüßt, aber ohne Musik und Ton. Das Dippen der Hamburg-Flagge muss dann reichen. Die dickeren Pötte kriegen dasselbe Ritual wie bei der Ankunft. Nur andersrum. Erst Hymne, dann drückt Adler eine andere Taste: „Hamburg wünscht Ihnen eine gute Reise. Wir hoffen auf ein baldiges Wiedersehen in unserem Hafen. Gute Reise.“ Und dann noch mal in der Landessprache. Und dann wird es schön schmalzig. Früher sang Freddy Quinn, der österreichische Ur-Hamburger, zum Sonnenuntergang „La Paloma, ohe, einmal muss es vorbei sein“. Dann ging die Sonne in Fließrichtung Nordsee unter, und alles blieb wie an allen Tagen seit der Eröffnung der Schiffsbegrüßungsanlage 1952. Jetzt klingen die Capri-Fischer. Von der roten Sonne, die im Meer versinkt. Allerdings sind die Sonnenuntergänge in Schulau kaum zu toppen, die Sonne geht direkt im Fluss unter. Was macht Adler eigentlich an Tagen, wenn mal so gar nichts los ist? „Dann kommt auch schon mal ein U-Boot“, sagt der   Begrüßungskapitän. „Ein getauchtes. Gern von der Schweizer Marine.“  Und grinst. Ein älterer Herr, Marke Traumschiff, hat eine Frage: Wann das nächste Schiff kommt? Adler grinst weiter: Die am häufigsten gestellte Frage beantwortet er mit der Seniorität eines echten Kapitäns. In 10 Minuten.

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