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Nils Jacobsen

 

 

AUTOR: DAVID POHLE

FOTO: NINA STRUVE

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 38

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Er steht hoch auf der Leiter, macht sich ganz lang und dreht nur noch diese eine Birne rein. Sieht mich, grinst, steigt hinunter. „Moin“, ein Händedruck, der einem Landhausbesitzer gut zu Gesicht steht. Baumlang, blond, blaue, blitzende Augen. Irgendwann mal aus Kiel, aber eigentlich schon immer Hamburger. Seit Eröffnung des Hygge im Mai 2017 ist er ein Gastronom der Stunde, des Jahres. Oder kurz: Jacobsen. Nils Jacobsen.


Jahrzehnte war er Pächter des denkmalgeschützten Bauernhofes unter Reet, der ein prächtiges Überbleibsel aus einer Zeit ist, als Caspar Voght, heutzutage als Baron Namensgeber der Straße, vor der kopfsteingepflasterten Auffahrt halb Flottbek als landwirtschaftliches Mustergut angelegt hatte. Nur vier Jahre ist es her, dass Jacobsen sein bislang größtes Risiko einging: Er kaufte Haus und Hof, wurde Eigentümer. Und war nicht ganz glücklich. War das Hotel gut gebucht, fiel das Restaurant ab: Küche gut, Ambiente weniger. Zu dunkel, wenig einladend und nicht zeitgemäß. Und oft ziemlich leer.
Das hat sich geändert. Und zwar radikal. Sogar Stammgäste rufen inzwischen eine Woche vorher an, um einen Tisch, ach was, irgendeinen Platz im Hygge zu ergattern. Es ist schlicht immer voll. Dass es so weit kam, ist Jacobsens Unternehmertum und Steherqualitäten zu verdanken. Vier Jahre randvoll mit Schicksal. Seine Eltern starben kurz nach einander, dann auch noch sein Bruder. Der Investor, dessen Geld das maßgebliche Fundament für den großen Umbau sein sollte, zog – bildlich – vor der Tür der finanzierenden Bank den Schwanz ein. Kein Geld mehr da. Das alles zwang Jacobsen nicht in die Knie, er wurde stattdessen Vater, erst einmal, dann noch einmal. Hotel und Restaurant liefen parallel weiter. Ein ganzes Jahr lang suchte er neue Investoren und hatte Erfolg.


Das Glück ist mit den Tüchtigen. „2016, im September, stand die Finanzierung. Kurz vor Baubeginn gab es die letzten Unterschriften, drei Wochen später standen die Handwerker vor der Tür“, sagt Jacobsen und man meint, alter Schwede, den mächtigen Stein noch immer vom Herzen fallen zu hören. Schon vorher, fest an das Gelingen glaubend, war Jacobsen viel auf Messen unterwegs, seine rechte Hand, Manuela Zeiser, die das Landhaus ebenfalls lebt und seit Beginn der Jacobsen-Ära dabei ist, im Gepäck. Die Maison et Objet in Paris, Lifestyle, Wohnen, Dekoration, wohl die größte Messe ihrer Art weltweit, dann Kopenhagen, Stockholm, auch Köln. Immer irgendwie ein Bild vor Augen, aber kein komplettes Ganzes, kein fester Plan und schon gar keine Idee, wie das Ganze mal heißen könnte. Jacobsen weiß, es soll rustikaler, lockerer, lässiger werden. Wie genau, pffft. Wird sich durch tägliche Inspiration schon fügen, hofft er. Verliebt sich in Einzelteile. So, wie in den Kamin. Einen wie den, den er im Alten Mädchen in den Schanzenhöfen gesehen hatte.

 

„Du musst reinkommen, dann steht da das Ding, mitten im Raum, so ein fettes Teil, von überall einsehbar mit echtem Feuer. Bähm!“, strahlt er.


Der Status bis dahin: Eingang, Vorraum mit Rezeption, Wand. Dahinter Restaurant. Tür, schmale Achse, links und rechts mit denkmalgeschützten Fenstern, ziemlich dunkel. Einladend ist anders. Der Kaminbauer schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Denkmalschutz? Reetdach? 25 Seiten
mit faustdicken Bedenken akzeptiert Jacobsen nicht. Das muss gehen. Geht es auch. Überhaupt, die Leute vom Denkmalschutz, die vorher nie etwas erlaubt haben, lenken ein, scheinen zu spüren, dass hier Gutes entstehen soll. Wenn die kleinen, historischen Fenster zur Straße also bleiben, darf Jacobsen zum Garten eine Glasfront bauen. Licht reinlassen. Die Struktur des Raumes aufbrechen, ihn optisch vergrößern und komplett verändern.
Und es geht weiter, immer weiter. Die Köpfe rauchen. Inzwischen ist die Innenarchitektin Anne van Riesen, Frau von Freund und Weinlieferant Marcus, an Bord. Alles kommt auf den Prüfstand, welches Material, welche Farben, welche Oberflächen, wie passt dies zu dem und das zu jenem. „Wir wollten allen Ernstes die 250 Jahre alten Holzbalken mit Farbe anmalen. Kann man sich das vorstellen?“, fragt Jacobsen. „Ich saß zu Hause, kam zur Besinnung, schlagartig war mir klar, das ist nicht richtig, das hätte alles versaut. Die Balken – so wie sie sind –, sind Teil der Identität des Hauses.“

 

Wieder bähm! So entsteht ein Spannungsfeld zwischen Lagerfeuer und Modernität, Natur pur, Stahl und Holz, feinstem Design, erlesenen Einzelteilen, emotionalem Licht. „Mit Hygge hat das eigentlich nichts zu tun gehabt, der Raum würde auch so aussehen, wenn es Hygge als Lebensgefühl nicht geben würde.“ Reet oder The Barn waren als Namen im Gespräch. Bis Manuela Zeiser fragt, wie nochmal dieses dänische Wort hieß, das den Landhausstil so gut beschreibt. Ach ja: Hygge. Das spaltet die Lager, die Hälfte des Findungsteams ist entsetzt: „Das kann man ja nicht mal aussprechen“, der Rest ist begeistert. Hier trifft er voller Überzeugung die Entscheidung, „weil die ureigentliche Bedeutung unser Lebensgefühl und unseren Anspruch so verdeutlicht.“


Französisch reduzierte Landhausküche bringt der junge Stefan Nehrlich auf die schweren, „geilen“ Holztische, eigene Fonds für jedes Fleisch, Lust auf Haltung. „Es ist doch maximaler Luxus, wenn man an der Bar gepflegt abhängen kann, vorm Kamin in antiquarischen Ledersesseln Rotwein schwenkt, Wein und Käse am Hochtisch futtert oder richtig fett an großer Tafel mit Familie und Freunden gewaltige Steaks, Heilbutte oder Burger spachtelt“, beschreibt Jacobsen, was er selbst so liebt. Sein Team: voll mit Typen. Ein verdammt guter Haufen junger Wilder. Sommelier Lennart Wenk,
Barchef Alex Wagner, Restaurantleiter Sebastian Reher und natürlich Koch Nehrlich, alle gekommen, um zu bleiben. Hungrig und überzeugt, dass das Hygge dauerhaft Erfolg haben wird, wenn sie ihren Job nur gut machen. Daran zweifelt hier niemand. „Ich habe immer an das Produkt geglaubt, aber auch andere Meinungen zugelassen. Nur deshalb sieht es heute so aus, als wäre es aus einem Guss.“ Und – keine Frage – das ist ziemlich bähm!

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