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Aaron Hilmer

SCHAUSPIELER

Text: Regine Marxen | Fotos: Jan Northoff

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 60

Warum wird man Schauspieler? Eine Antwort könnte sein: Weil man als Kind gern kletterte und zusammen mit dem älteren Bruder auf jeden Baum gestiegen ist. So jedenfalls begann Aaron Hilmers Schauspielkarriere. Er wollte einfach hoch hinaus. Das fiel auch dem Nachbarn auf. „Er war damals bei dem Musical ,Tarzan‘ in der Neuen Flora Techniker und sagte: ,Klettere doch mal bei Tarzan!‘“ Also ging der junge Aaron – er war damals ungefähr elf Jahre alt – zum Casting, um für die Rolle des kleinen Tarzans vorzusprechen. Das war sein Ticket ins Filmbusiness.

Er spielte in der Kinderserie „Die Pfefferkörner“, später im „Großstadtrevier“, bei „Notruf Hafenkante“ und in weiteren deutschen TV-Serien und -Spielfilmen. Engagement für Engagement erarbeitete er sich den Ruf als Spezialist für den Typus „markanter Underdog“. Natürlich reizt ihn heute längst nicht mehr das Klettern an diesem Job. „Sachen zu machen, die ich als Aaron nicht mal im Traum machen würde – das ist das Tolle an diesem Beruf.“ Zum Beispiel mit blonder Mähne und großer Klappe den Dicken und den Hamburger Kiez unsicher zu machen „wie ein aufgescheuchter Hahn“. Als Klaus Barkowsky, Gründer der Hamburger Nutella-Bande, begeisterte er in der Amazon-Prime-Serie „Luden“ Presse und Zuschauer. Im Kriegsdrama „Im Westen nichts Neues“ kämpft er als Soldat Albert Kropp ums Überleben. Es ist ein intensiver Film, der die Sinnlosigkeit des Krieges in ungeschönte Bilder verpackt, begleitet von Volker Bertelmanns verstörendem Soundtrack. Von den neun Oscar-Nominierungen, die das Drama 2023 erhielt, konnte Regisseur Edward Berger vier der Goldjungen mit nach Hause nehmen. Was für ein Erfolg für eine Produktion, die unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie im winterlich kalten Tschechien gedreht wurde. Und für Aaron. Der war als Darsteller zwar nicht für einen Oscar nominiert, aber, sagt er fröhlich, „es ist schön, so ein Projekt in der Vita stehen zu haben.“

Und jetzt? Hollywood hat noch nicht bei ihm angerufen. Das hat er auch gar nicht erwartet; so tickt die Branche nicht. Schon gar nicht in Deutschland. Aber er ist ein ganzes Stück mehr ins Rampenlicht gerückt. „Das bedeutet auch, dass ich mich mit mehr Kritik ausei­nandersetzen muss. Dass die Leute sich mehr mit mir beschäftigen.“

Leichter wird der Job mit steigendem Erfolg oft nicht, aber das gehört nun einmal dazu. Aaron befindet sich in einer Phase der Professionalisierung. Er hat zum Beispiel einen Schauspiel-Coach, der ihn im Job begleitet. „Es tut gut, jemanden zu haben, der Bescheid weiß und am Start ist.“ Als Schauspieler ist er es gewohnt, eine Person des öffentlichen Lebens zu sein. Mit Filmen wie „Das schönste Mädchen der Welt“ hat er schon früh Aufmerksamkeit erregt und 2018 unter anderem den Günter-Rohrbach-Filmpreis erhalten. Er genießt das, sucht die Öffentlichkeit aber nicht um jeden Preis. Viel wichtiger ist es ihm, sich Freiräume zu erspielen und sich immer mal wieder ins Unbekannte zu stürzen. „Letztens war ich in Südamerika, in Bolivien, Peru und dann noch Mexiko. Ohne Spanisch zu können und nur mit meinem Rucksack. Mit Gewohnheiten zu brechen, das mache ich manchmal ganz gern.“

Hamburg ist sein Anker. Er ist ein Altonaer Jung, hier ist er zusammen mit seinem Bruder bei seiner Mutter aufgewachsen. Sie ist Bestatterin, aber erst seit Kurzem. Zuvor hat sie u. a. Ausstellungen organisiert. „Sie denkt den Bereich Beerdigung neu, ich finde das sehr beeindruckend.“ Der Tod beschäftigt ihn gerade. Sein Vater, der Maler Paul Pollock, ist im Frühjahr 2022 verstorben. Aaron ist Trennungskind, sein Vater arbeitete und lebte in Freiburg. Das bedeutet, dass er als Kind in den Ferien viele Stunden im Zug zwischen Norddeutschland und dem Breisgau verbracht hat, meist mit seinem älteren Bruder. Drei weitere Geschwister hat er, sie leben um den Globus verteilt. Der Tod des gemeinsamen Vaters hat sie einander nähergebracht. „Wir bilden gerade eine Einheit. Wir sind die Pollocks! Und wir wollen das künstlerische Erbe unseres Vaters sichtbar machen.“ Das ist eine große Aufgabe. Paul Pollock hat Tausende Werke hinterlassen. Die müssen seine Erben erst einmal alle sichten und kategorisieren, um dem Ganzen eine Form zu geben. Eine Menge Arbeit, aber auch eine Chance, neue Perspektiven auf den eigenen Vater zu erhalten – und auf sich selbst.

All das wird am Ende vielleicht in seine Arbeit einfließen: in die Schauspielerei. Demnächst dreht er einen Fernsehfilm unter der Regie von Sabrina Sarabi, danach folgt eine Serie für Sky, die in den 40er-Jahren spielen wird. Die dritte und finale Staffel der erfolgreichen Thrillerserie „Sløborn“ von Christian Alvart hat er gerade abgedreht. Aaron spielt darin den Jugendlichen Devid, der zusammen mit einer Gruppe Überlebender auf einer Nordseeinsel gegen ein tödliches Virus kämpfen muss. Anfang 2024 werden die Folgen zu sehen sein. Wer die ersten beiden Staffeln noch nicht kennt, kann sie in der ZDF-Mediathek streamen. Es lohnt sich. Aaron Hilmer träumt übrigens weniger von der Nordseeinsel als von Portugal. Vielleicht will er dort einmal eine Zeitlang leben. Aber erst einmal bleibt er in Hamburg und bereitet sich auf seine kommenden Rollen vor. Das Leben ist eine Baustelle. Aaron Hilmer baut Großes. Wir schauen ihm gern dabei zu.

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