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Julia Thesenfitz

BETÖREND SCHÖNE MALEREI

Text: Simone Rickert
Fotos: Uta Gleiser

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 47

Eigentlich soll niemand wissen, dass sich in den Hinterzimmern des Interieur- und Galerieladens Roomservice noch ein Atelier befindet. Julia Thesenfitz versteckt sich dort, um in Ruhe ihrer Malerei nachzugehen, ihren Gedanken zuzuhören, sie zu sortieren und dann mit der ganzen Wucht der Farben und allem Feinsinn der Idee auf große Leinwand zu bringen.

Steigt man vom Lehmweg drei Stufen hinunter in den Showroom, fühlt man sich ein bisschen wie Alice im Wunderland, die in den Bau des weißen Kaninchens stolpert. Möbel aus klassischen Kollektionen,
abgefahrene Einzelstücke, ein Keramiktintenfisch von Svenja Rossa hebt freundlich den Tentakel, an den Wänden hängen Thesenfitze. ­Julias Mann Christian Wedekind hat Roomservice vor 19 Jahren gegründet.
Möbeldesign und Inneneinrichtungsservice gehen fließend in moderne Kunst über. Eines Tages schaute Julia in den frisch eröffneten Laden, unterm Arm ihre Mappe mit Fotos von ihren Raumobjekten. „Fürchterlich komplizierte Sachen, handwerklich wahnsinnig aufwendig umzusetzen“, meint sie heute lachend. Ein handgewebter Feudel in Wandteppich-Größe, Geschirr in wohnzimmerfüllendem Format.
Doch Christian hat das auf Anhieb gefallen: „Als ob sich zwei treffen, die dieselbe Sprache sprechen“ – eine sehr witzige, bildhafte Kommunikation. Julia war auch mal kurz Gag-Schreiberin für die RTL-Sendung „Samstag Nacht“, die damals Kult war, und Werbetexterin. Aber die Kunst gefiel ihnen beiden mehr als der Konsum. In den folgenden Jahren lagen sie damit genau richtig, Readymade war in, brennende Streichholz-Installationen gingen in Serie, Fischstäbchen zum Aufziehen für die Badewanne blieben lustige Prototypen. Laden und Design-Kunst ergänzten sich so gut wie die beiden Inhaber.

Durch einen schmalen Gang ins Hinterzimmer betritt man noch mal eine andere Welt. Alice zum Tee beim verrückten Hutmacher und dem Märzhasen: Leckeres Gebäck auf dem Tisch, eine Kerze brennt auf einer täuschend echt aussehenden Kunststoff-Brotscheibe und an der Wand hängt ein Spiegelei, ihre früheren Erfindungen. Julia erzählt von dem Plötzlich, als alles anders wurde. Sie lag mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus, die Ideen ließen sie auch im Delirium nicht in Ruhe, riefen laut: „Du musst altmeisterliche Stillleben malen, auf alten Lkw-Planen.“ Gemalt hatte sie da zuletzt im Studium an der Fachhochschule, Fachbereich Gestaltung, aber dass das mal ihr Medium sein würde, musste sie sich erst mal zutrauen. Kaum dass sie wieder laufen konnte, mobilisierte sie den ersten Mini-Krümel an Kraft in ihrem Körper und fing an. Jetzt sind es große Leinwände, oft zwei oder drei nebeneinander, die sie parallel bearbeitet. Doch bevor sie mit Acrylfarben und Kreide beginnt, sitzt sie tagelang am Laptop.

In Collagetechnik bearbeitet sie Fotos, sucht das passende Detailmotiv: einen Straußenvogel, die ihm passenden Spitzenschuhe, dazu eine schwimmende Butterdose. „Ich mag den surrealen Moment, der einem nicht lautstark um die Ohren gehauen wird.“ Beim Betrachten fühlt man sich wie Alice, die gerade aus ihrem Traum aufgewacht ist: Eben kam es einem noch ganz selbstverständlich vor, dass die Frau auf dem Porträt eine Suppenschüssel mit Delfter Muster als Hut trägt. Viele Frauenköpfe hat Julia gemalt: „Die sprechen bei den Leuten offenbar etwas an. So wie im Song ‚Purple Rain‘ von Prince, ‚If you know what I’m singing about, raise your hand!‘ Die Leute wissen offenbar besser als ich selbst, wovon ich singe.“ Eine Tiefe und eigentümliche Schönheit, aus der Ruhe und aus dem Chaos geboren. Im Moment stehen Pinsel, Schwämme und Farben still und ordentlich sortiert an ihrem Platz. Aber das täuscht, in Julias Wunderland sind sie echte Charaktere: Das Rot heißt Chris de Burgh, Julia hört gern Radio beim Malen. „Man wird ja etwas eigentümlich, hier alleine.“ Deswegen plauscht sie hin und wieder mit ihrem Lieblingspinsel. Der hat eine ziemlich verklumpte Pro­blem-Frisur und darf grob ausradieren, wenn die Malerin sich im Detail einer Augenbraue „verhäkelt“ hat. Er bleibt zwar gern mal zu lange im Terpentin stehen, kennt sie aber so gut wie kein anderer, meint, die Frau gehöre in den Zoo, mit ihrem merkwürdigen Kopf, in dem diese ganzen Welten stattfinden. Wir meinen: vielleicht eher ins Museum!

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