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Pia Fleckenstein

KÜNSTLERIN

Text: Simone Rickert | Fotos: Uta Gleiser

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 62

Am Schwimmsteg am östlichen Ufer des Travehafens auf Steinwerder liegt strahlend blau „Salon Walter“ vertäut. An Bord schafft die Künstlerin Pia Fleckenstein ihre Gemälde, und für Ausstellungen wird der seetüchtige Kahn zur mobilen Galerie. Ihre Werke sind schnell recht begehrt geworden. Ihre künstlerische Position in der Malerei fand sie just vor knapp vier Jahren hier an Bord. Seitdem hat sie bereits erfolgreiche Ausstellungen bei der „Millerntor Gallery“, „Qvartr Gallery“, beim „MS Dockville“, solo in der riesigen „Gleishalle“ am Oberhafen und auf eigenem Kiel im Museumshafen Oevelgönne bestückt.

Für den Sommer 2024 sind die ersten großen Touren nach Bremen, Bremerhaven und Lübeck geplant. Ihr Stil, inspiriert von Pflanzen und Menschen, trifft offenbar den Nerv unserer Zeit und ist dabei weltgewandt zeitlos, sehr eigenständig. Sie legt Linien und Formen vor ihrem inneren Auge übereinander und leitet ihre Hand – von 10.000 Zeichnungen geübt, so verschrieb es ihr Hochschulprofessor in Würzburg – aus einem motorischen Gedächtnis heraus leicht zu Skizzen auf Papier. So entstehen ihre „dividuell“ abstrakten Gemälde in Acrylfarben oder schimmerndem Bootslack. Sie malt ausschließlich direkt auf Holz, mag die raue Struktur, die ihre Malerei dadurch erhält. Ihren Stil könnte man so beschreiben: mäandernd zwischen Modigliani mit den Mandelaugen, Heiligenbildern, Kandinskys Kreisen und den klaren Kanten des Kubismus, „klingt plakativ, aber ich finde, Picasso ist immer noch einer der großartigsten Menschen, die es in der Malerei gab“.

Ihr Stil schwingt völlig eigensinnig zwischen all diesen Vergleichen, sie geht autark durch die Kulturgeschichte und nimmt extrem wissensdurstig alles auf, was ihr gefällt. Nicht überraschend sind das häufig Frauenfiguren. Mit ihrem Partner Nik hat sie sich ihre gemeinsame Welt gestaltet: Schnell weg aus der Heimat Bayern, bloß nicht nach Berlin, die Liebe zum Wasser zog beide nach Hamburg. Den gläsernen Pavillon auf dem Achterdeck haben sie gemeinsam entworfen und gebaut, nachdem sie den Wattsegler vor knapp vier Jahren zum Spottpreis, aber – momentan noch wichtiger – inklusive Liegeplatz erwarben und wortwörtlich von Grund auf renovierten. Auf Kiel gelegt wurde der Motor-Frachter mit zwei kleinen Hilfssegeln 1906, war danach im Einsatz zum Transport von Äpfeln aus dem Alten Land in den Hamburger Hafen.

Nun sitzen wir hier, auf dem blauen Samtsofa, es duftet nach Kaffee, der wie von Zauberhand durch eine Klappe im Boden aus dem ehemaligen Frachtraum gereicht wird. Blick auf das ruhige Hafenbecken, auch gegenüber am Kai ist wenig los, ansonsten Weite, viel Himmel und Horizont. Dass dies der ideale Schaffensort für ein Künstlerpaar ist, sieht man sofort, auch wenn die beiden hier eher der glückliche Zufall hinlotste. Das pittoresk aufgeräumte Glashaus à la Tableau vivant erzählt schon viel aus ihrem Lebensentwurf: Auf einem marmornen Schachbrett liegt neben dem notwendigen Fernglas ein heftig durchgelesenes Exemplar von Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, „hat uns fast zwei Jahre beschäftigt, mal haben wir zwei Seiten, mal zwanzig pro Tag geschafft“. Mehrere Gemälde lehnen an der Staffelei, Pias Schlagzahl ist erheblich. Pötte mit Pflanzen, „wir haben so einen mittelmäßig grünen Daumen“, meint sie mit ihrem Lachen, das das ganze Gespräch begleitet, „an der hübschen Nessel da hab’ ich mir heute morgen wahnsinnig die Hand verbrannt“. Unter der Decke hängt ein Bündel Angelruten, „aber uns fehlt zum Anglererfolg wohl die ernsthafte Gesinnung mit ‚Schwarm-Finder-App‘ und so“.

Auf der Werkbank schwere Schraubzwingen für die Skulpturen: Nik entwirft, entlehnt an antike Architekturen, himmelweite Werke aus Armierungsstahl, die Bögen im Raum nur strichhaft angedeutet, und das am liebsten in Dimensionen, die von Menschen begehbar sind. Auch setzt er Pias Motive als kalt gebogene Skulpturen um, dort hinten, wo die Bohnen ranken, zum Beispiel die „weinende Sonne“. Stets bereit auch die Metallbandsäge für die Rahmen und Holzgrundflächen der Gemälde, Schweißgerät und Werkzeug für alles, was man so mal eben für den laufenden Bootsbetrieb braucht. Und eine beinahe schon antike Lampe, die, wie unsere Fotografin Uta gleich erkennt, einst in Dunkelkammern Negative vergrößert in Positive umwandelte. Restauriert im Einsatz zur bunten Bespielung bei Ausstellungen an Bord. Dazu steht im gemütlichen Frachtraum ein amtliches DJ-Set mit Plattensammlung für Partys bereit. Wohin „Salon Walter“ Pia und Nik wohl noch trägt? Entlang der Elbe haben sie den ersten Stürmen erfolgreich getrotzt. „Walter“ hat Lust auf die Ostsee und ihre sonnenbeschienenen Buchten.

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