Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 45
Gegen sechs Uhr morgens soll ich da sein, den Fotografen gleich mitbringen. Zwischen den Kreiseln, Börnsen. Das ist vor den Toren vor Bergedorf. Nicht gerade die Adresse, die man sich vorstellt, wenn man einen Fischhändler treffen will, Wasser gibt es hier nur aus der Leitung. Aber Sebastian Baier geht ein Ruf wie Donnerhall voraus, er ist ein junger Wilder im besten Sinne. Anders als Politiker, für die dieser Begriff gelegentlich genutzt wird, kennt er keine Kompromisse, wenn es um Fisch und um Haltung geht. Da steht man schon mal früher auf. Es wird gerade vorsichtig hell im Osten, als Baier vor uns steht, knapp über zwei Meter, fester Händedruck, roter Vollbart, eine Idealbesetzung für jede Wikinger-Saga. Nachhaltiger, ethischer Fischfang, der unverhandelbare Respekt für die Natur und die Lebewesen, sind Baiers Leitlinien.
„Kommt rein, ich habe gerade einen Zackenbarsch und eine Bernsteinmakrele bekommen, beide in der 60-kg-Klasse.“ Baier ist ein mutiger, manchmal auch unbequemer Querdenker, der gut vernetzt ist in der Hamburger Gastro-Szene. Frische, hoch gehandelte Restaurants wie „Wolfs Junge“, die „Hobenköök“ oder das „Spajz“ beziehen bereits Fisch von ihm. Jetzt ist er on fire. Denn vor Kurzem ist er über Instagram auf den australischen Chefkoch Josh -Niland gestoßen, der Fische im Dry-Aged-Verfahren veredelt (instagram.com/mrniland und instagram.com/fishbutchery). Und für dieses Verfahren ist Baier der Pionier.
„Es gibt Fische wie den weißen Heilbutt – neulich hatte ich einen mit 120 Kilogramm – oder die beiden Kaventsmänner hier, die kommen zwar frisch aus dem Meer, schmecken aber wässrig und ziemlich langweilig. Außerdem schmecken sie, wie ein alter Keller riecht. Nach altem Ei. Schon mein Vater sagte zum Heilbutt deshalb, den lass mal zwei, drei Tage in der Kiste liegen.“ Baier lässt diese Fische nun sortenabhängig zwei bis drei Wochen bei +1 Grad in einem Kühlraum hängen und in Ruhe reifen. Vorher nimmt er ein mächtiges Messer zur Hand, schneidet den Fisch auf, räumt den Bauchraum komplett, entfernt die Kiemen und entschleimt den Fisch, wie ein Tatortreiniger ein Blutbad beseitigt, sogar mit einer mittelharten Zahnbürste für letzte Blutreste. Da traf es sich für die akribische Arbeit ganz gut, dass er vor Kurzem das Besteck aus einem Dentisten-Nachlass bekam.
„Nach drei Wochen ist der Fisch komplett geruchslos, butterzart. Das Wasser ist raus aus dem Fisch, das Fett, die Eiweiße haben sich zersetzt, der Fisch ist jetzt zartbuttrig, hat eine tolle Konsistenz und ist in bestem Maße veredelt. Weil das in Deutschland noch niemand macht, habe ich das in einem Labor mikrobiologisch testen lassen. Ergebnis: absolut unbedenklich.“ Und vor allem, so Baier, schmeckt der Fisch jetzt besser und anders als jeder über kurz oder lang vom Aussterben bedrohte Thunfisch, den – jetzt kommt er in Schwung – man ohnehin nicht mehr essen sollte, wenn man es ernst meine mit dem guten Gewissen. Bei seinem Fisch schmeckt man die fünfte Geschmacksrichtung, anders als sauer, süß, salzig oder bitter. Ein Hochgenuss, den die Japaner umami nennen.
Das ist Baiers Thema: „Ich möchte Verbraucher anregen, ihr Konsumverhalten zu überdenken. Lieber einmal pro Woche richtig als zu oft mittelmäßig oder schlecht. Nicht missionarisch, aber ich kann einfach nicht jeden Fisch ganzjährig anbieten, weil unabhängig von gesetzlich geregelten Fangzeiten und Mindestmengen auch Laichzeiten beachtet werden müssen. Und da muss man z. B. beim Kabeljau einfach mal sagen, der dürfte drei bis vier Monate nicht gefangen werden. Das würde sehr helfen, die Bestände aus eigener Kraft gesunden zu lassen. Und wenn man sich Fischhändler nennt, es werden übrigens nur knapp fünf Prozent bei echten Fischhändlern gekauft, sollte man Alternativen zum Zuchtfisch aus Aqua-Kulturen und vom Ende der Welt anbieten.“
„Ich beziehe nur Fische aus Europa, Ost- und Nordsee, Nordatlantik, Mittelmeer und natürlich europäischen Binnengewässern, nie von den großen Fangflotten, überwiegend von Küstenfischern, die noch mit Kuttern unterwegs sind, Langleinen oder kleine Netze verwenden und den Fisch schnell nach Hamburg bringen. Und natürlich keinen Fisch, der Laichzeit hat oder noch nicht geschlechtsreif ist.“
Manchmal vergehe nämlich ein ganzes Jahr, bevor der Fisch, der von den großen Flotten mit gigantischen Schleppnetzen, die wie eine Egge durch den Grund pflügen und dauerhaft schreddern, was dort lebt und laicht – und dabei unheimlich viel Beifang haben – in den Verkauf geht. „Damit der dann überhaupt noch essbar ist, werden für die Haltbarkeit Sulfide, Bleichmittel, Konservierungsstoffe eingesetzt. Also ich will das nicht essen“, empört sich Baier. „Stell dir vor, dass vor Island Rotbarsch gefangen wird, der ist entweder noch überhaupt nicht geschlechtsreif oder hat eben gerade Laichzeit. Wenn der aus 800 Meter Tiefe hochgezogen wird, platzen Eier und Luftbläschen im Fisch, der dann im Prinzip ungenießbar wird. Wenn der angelandet wird und steht, riecht es schlimmer als in einer Bahnhofstoilette. Deshalb gibt es auch nur Filets ohne Haut, weil sonst Verletzungen und Entzündungen sichtbar wären. Ein so gefangener Rotbarsch im Ganzen wäre absolut unverkäuflich. Aber Kunden wandern ab, wenn sie nicht ganzjährig Rotbarsch kriegen. Da kläre ich dann auf. Erdbeeren aus Holstein gibt es ja auch nicht das ganze Jahr. Manche wählen grün, steigen dann in ihren SUV, fahren auf die andere Straßenseite zu Aldi und bedienen sich dort am Kühlregal. Andere sind erschüttert und fangen an nachzudenken.“
Allgemein sei da eine Entfremdung von Lebensmitteln. Im Urlaub in Spanien Seezunge gegessen? Gibt es da überhaupt nicht, in Hamburg Seezunge für 20 Euro im Restaurant? Ausgeschlossen, die koste schon im Einkauf 90 Euro pro Kilo. Schnäppchen ausgeschlossen. Was denn von dem MSC-Label zu halten sei? Das steht immerhin für nachhaltige Befischung des Bestandes, geringe Auswirkungen auf die Lebensräume im Meer und ein effektives Management und prangt im Supermarkt-Kühlregal auf vielen Packungen? „Ich persönlich glaube, dass die großen Player das kaufen können und es eher zur Gewissensberuhigung der Konsumenten dient. Ich traue dem überhaupt nicht. Wir glauben nur an unsere eigenen, viel strengeren Maßstäbe.“ „Ich will aber auch nicht immer zeigen, was Mist ist und was nicht gehen sollte, sondern das, was geht, z. B. handgetauchte Jakobsmuscheln aus Norwegen. Die kosten allerdings auch ein Vielfaches von den Exemplaren, die aus irgendwelchen Fischfarmen im Pazifik kommen. Aber das sind dann auch schon mal zehn Euro das Stück.“ Da passt dann der Leitspruch, iss lieber einmal was Ordentliches.
Baier hatte gerade angefangen, BWL zu studieren, da kam ein Hilferuf seiner Mutter, dem Vater müssten Bypässe gelegt werden, er – Sebastian – müsse nun einspringen. Kam ihm nicht ungelegen, BWL ödete ihn eher an. Und er war der Einzige, der infrage kam: Aufgewachsen in der Fischfamilie half er schon als kleiner Butschie aus, verkaufte erst Gewürzgurken, da war er fünf Jahre alt, dann Käse, später endlich Fisch aus einem eigenen Anhänger auf den Wochenmärkten im Hamburger Osten. Sein Vater sagte damals schon: Pangasius kommt mir nicht in die Auslage, Fisch, der aus dem schmutzigsten Fluss der Welt komme – er meinte damals den Mekong – könne man nicht ernsthaft anbieten. Fünf Jahre ist das her, seitdem haben die Baiers viel Geld in den Standort Börnsen investiert, modernste Kühlräume, nach Einbrüchen Nachrüstung mit neuer Verglasung und Sicherheitstechnik, ein Bistro mit Verkauf und Mittagstisch, der Marktwagen usw. Baier ist heute 32 Jahre alt. Anfangs hatte er 100-Stunden-Wochen, als seine zweite Tochter geboren wurde, stellte seine Frau ihm ein Ultimatum, und da er künftig auch nicht ganz allein leben wollte, reduzierte er die Arbeit, organisierte sich besser und kommt nun meist auf 50 bis 60 Stunden pro Woche. Und die sind beinhart. Täglich um ein Uhr nachts fängt sein Tag an, St. Pauli Fischmarkt, Fischgeschäft, Marktwagen beladen und aufbauen, Fische ausnehmen, vorbereiten, wenn die ersten Mitarbeiter in den Laden kommen, hat Baier den Arbeitstag eines normalen Arbeitnehmers schon hinter sich. Und setzt dann noch einen drauf, indem er Frühstück serviert, selbst verkauft und sich um fast alles kümmert. Verließ er früher das Geschäft, wurde schon mal hinter seinem Rücken gelästert. Heute hat er ein tolles Team von rund zehn Mitarbeitern, das mit ihm aus Überzeugung an einem Strang zieht. „Damit werde ich nie reich werden, aber ich liebe es und möchte nichts anderes tun.“ Zur Überzeugung gehört, manchmal auch Dinge zu tun, die auf den ersten Blick schmerzhaft sind. „Ich hatte kürzlich einen deutschen Lieferanten, der hatte die mit Abstand schönsten Forellen, die man kriegen konnte. Leider hatte er auch ein großes Faible für die AfD. Jetzt habe ich erst mal keine Forellen mehr.“ Zukunft? „Mal sehen, ich eiere hier nicht rum, mache erst mal alles gut, und dann sehen wir weiter. Schritt für Schritt.“
Nachhaltig eben.