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No sleep till Hammerbrooklyn

ALEX HEIMKIND | STREET ART GALERIST

Text: Till Briegleb | Fotos: René Supper

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 47

Schon als Schüler hat Alex Heimkind in der Roten Flora gewohnt. Doch weil er nie zu den „Plenen“ ging, den endlosen Debattierversammlungen der Aktivistinnen und Aktivisten, flog das „Punk-Kiddie“ bald wieder raus. Später war er als Streetfighter in Hamburg und Berlin aktiv, suchte autonome Freiräume in verschiedenen Szenen, sprühte das A im Kreis auf die Wände, trainierte aber auch Kung-Fu bis zum schwarzen Gürtel und gründete einen Radrenn-Club der Fahrradkuriere, Les Messagers Noir. Er liebt die Lost Places der Welt, lebte in Brooklyn und im Künstlerhaus Wenden­straße, wo er in den Neunzigern den Namen Hammerbrooklyn erfand, macht elektronische Musik, unterhielt einen Piratensender und war dafür bekannt, echt labern zu können.

Als die eher verschwiegenen Hamburger Graffiti-Sprayer Anfang der Nullerjahre erkannten, dass man unter dem Label Street-Art ihren „Vandalismus“ auch in die Galerien tragen kann, erfanden sie für Alex einen Hauptberuf. In Heimkinds Worten beschrieben sie seine Qualifikation so: „Wir verstehen nur die Hälfte von dem Zeug, das du redest, Alex. Also verkaufst du jetzt unsere Sachen!“ Der Kaufmannssohn schlug ein, schließlich hatte er, bevor es Goo­gle gab, schon einen Onlineshop für Graffiti-Kunst programmiert. Nun gründete er einen festen Hafen für Sachbeschädigung auf Leinwand in einer ehemaligen Mineralwasserfabrik. Im Schanzenviertel vor der Bahntrasse in der Bartelsstraße entstand das OZM (steht für One Zero More), die Art Space Gallery.

2007 zog Heimkind in das Gebäude, das 2016 abgerissen werden sollte. Zwei Jahre nach der Ankündigung, als die Bagger tatsächlich kamen, bespielte die Galerie längst das ganze Haus. Heimkinds sprudelnder Enthusiasmus, den er mit unzähligen Ausstellungen von Urban-Art-Künstlern und der Verwandlung der Hinterhoffabrik in ein inwändiges Sprayerparadies bewiesen hatte, beeindruckte sogar die Investoren. Deshalb bot Köhler & von Bargen ihm ein neues Heim zur Zwischennutzung an – in Hammerbrook.

Unter den Lost Places von Hamburg ist dieser vor dem Krieg vitale Stadtteil sicher einer der verunglücktesten. Hier sind Straßen keine Lebensräume, sondern Auto-Stauraum. Der Mangel an Bewohnern zwischen den Verwaltungsbauten erzeugt abends eine Geisterstadt. Und obwohl sich Generationen an Stadtentwicklern daran versuchten, die City Süd irgendwie attraktiv zu machen, ist ihr Scheitern der Grund, warum die Kalligrafen der Subkultur sich hier wohlfühlen. Der planerische Fehlschlag schafft einen Ort ohne Anziehungskraft, den Kontrollallergiker als Möglichkeitsraum wahrnehmen. Erneut siedelt Alex Heimkind hier an Bahngleisen, unterm S-Bahn-Viadukt an der Spaldingstraße. Das besitzt natürliche Symbolik, denn der Geburtsort der Kunst, die das OZM zeigt und verkauft, liegt im New York der Siebziger, als Sprayer begannen, U-Bahnen mit kunstvollen Eigennamen zu zieren. Da war Alex Heimkind gerade geboren. Aber bis heute existiert die enge Verbindung zwischen Schienen und Sprayern, nicht zuletzt durch Hamburgs berühmtesten „Tagger“ OZ, der den Nahverkehr mit seinem Zeichen und Smileys überallhin verfolgte – bis er 2014 von einer S-Bahn erfasst wurde.

Alex war OZs Galerist. Heimkinds lebenslange Suche nach Freiräumen brachte ihn immer in Kontakt mit „schrägen Vögeln“, die sich nicht anpassen wollten. Und denen kann er jetzt auf 3500 Quadratmetern verschwenderisch viel Platz bieten, um ihrem Selbstverständnis als Künstler einen erträglichen Rahmen zu bieten. Um die 5000 Euro kosten etwa die in vielen Lagen und Farben aufgetragenen Tags von ArtOne. Der Veteran der Hamburger Sprayer-Szene zeigt auf einem Stockwerk seine Form von Dripping-Art, indem er seinen Schriftzug kontrolliert zerfließen lässt. Dazu erschrecken in den einstigen Sanitärräumen zombiehafte Figuren Besucher als Sprayers Albtraum. Labyrinthisch verläuft der Galerienparcours über verschiedene Stockwerke. Ein höhlenartiger Gang des franzö-sischen Sprayers Darco FBI, der an die Raumkunstwerke des Dada-Künstlers Kurt Schwitters erinnert, findet sich neben der phosphoreszierenden Cockpit-Installation von MIR, in der er sich mit Safety Cards befasst. Der Schablonen-Künstler mittenimwald zeigt hier seine Guerilla-Versionen von Werbe- und Propagandamotiven. Und während im Heizungskeller das Duo reizflut sensorgesteuerte Technikräume in Besinnungswelten verwandelt, das leer stehende Drive-in-Bordell „Quickie City“ („Service nur mit Kondom“) auch unrenoviert als Kunstinstallation wirkt, sind die Fassaden des neuen OZMs für die Außenwerbung zuständig. Heimkinds Galeriekünstler wie DAIM, Danny Doom und Darco FBI verbergen die Tristesse der Nutzarchitektur in dynamisch bunten Murals. Aber auch ein Friedhof für tote Sprayer ist in einer Ecke des benachbarten Parkplatzes an die Wand gemalt.

Es gibt so viel Platz in diesem Gebäude, dass neben einem Erinnerungszimmer für OZ und einer Werkstatt auch noch Luft für pädagogische Angebote ist. Denn nicht nur für die Kids aus St. Georg sind bemalte Sockelzonen Teil ihrer Lebenskultur, deren Geschichte sie aber kaum kennen. Und so bietet Heimkind in seinem Kulturpalast wie in Schulen alternativen Kunstunterricht mit anarchistischer Philosophie.
„Man muss sich im Leben immer Plätze erkämpfen, wo wirklich viel möglich ist“, sagt der Freibeuter der Urban Art. „Wer dieses Gefühl der Freiheit nie erfahren hat, weiß nicht, wovon ich rede!“ Das will er Heranwachsenden vermitteln, die von einer Jugend politischer Rebellion nichts mehr wissen und im Glauben erzogen sind, dass man Anerkennung über den Kauf von Produkten gewinnt. Wobei auch im OZM der „Exit through the gift shop“ erreicht wird. Auf den Hoodies, die als Souvenirs verkauft werden, prangt allerdings ein Zitat des russischen Anarchisten Michail Bakunin: „Frei unter Freien.“

Wie sich der Glaube an Freiräume über die Jahrzehnte dennoch sehr gewandelt hat, auch das beschreibt die Lebensgeschichte von Alex Heimkind. Denn heute sucht der Fünfzigjährige diese nicht mehr bei Straßenkämpfen der Hausbesetzerszene, sondern zusammen mit den Projektentwicklern von Köhler & von Bargen. In der Viaduktkurve wird ab 2027 ein neues Gebäudeensemble für 200 Millionen Euro entstehen. Die Sprühkunst-Enklave der City Süd wird dafür natürlich abgerissen. Aber als Ersatz soll ein dreigeschossiges Kulturgebäude das Projekt namens „Hammer Heart“ ergänzen.

Doch kann der libertäre Geist von Straßenkunst wirklich in einer gläsernen Geschäftsimmobilie überleben? Für Alex Heimkind ist genau dieser Konflikt die nächste spannende Herausforderung. Gemeinsam mit Architektin Leefke Bode und unterstützt von den interessierten Bauherren entwickelt er Konzepte, wie das „Superfreie“, das er immer gesucht hat, auch in dieser Konstellation aufblühen kann. Hoffentlich geht es ihm da nicht wieder so wie einst in der Roten Flora. Wer die Regeln nicht mitspielt, fliegt raus. Aber Alex Heimkinds Motto ist schließlich: „Das Leben ist nicht zum Festhalten da.“

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