Porträt –
Peking
AUTORIN: SIMONE RICKERT
FOTOS: JAN SIEG, JOACHIM KAISER
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 40
Im Sommer 2020 soll sie als Museumsschiff vor den 50er Schuppen festmachen, mit Blick auf die Elbphilharmonie. Ein wahrer Glücksfall für die Stadt. Denn zuletzt lag sie 40 Jahre lang weit weg von ihrer Heimat, am Kai des South Street Seaport Museums in New York. Die „Peking“ ist mit ihren Schwesterschiffen der Höhepunkt der Segelschiffbaukunst. 1911 im Auftrag der Reederei F. Laeisz bei Blohm+Voss vom Stapel gelassen, stellte sie damals das effizienteste und schnellste Transportmittel über die Weltmeere dar. Sie wird für Hamburg nicht nur ein weiteres Museumsschiff, ein schöner schwarzer Schwan im Hafen, sondern ein Industriedenkmal, das erinnert an die große Blütezeit des Hafens, als er vor Masten und Rahen nur so wimmelte, und an den von hier aus betriebenen Welthandel. Der brachte den Bürgern der Stadt Wohlstand, die Laeiszhalle, auch das Chilehaus der Handelsfirma Sloman, sind seine Zeugen. Bis 1932 holte die „Peking“ eine sehr gewinnbringende Fracht: Salpeter. Benötigt zur Herstellung von sowohl Düngemittel als auch Sprengstoff, wurde das Mineral in den Wüsten der chilenischen Küste gewonnen.
Doch nur die kürzeste Zeit ihres Großseglerlebens war sie in ihrer ursprünglichen Bestimmung als Frachtsegler auf Salpeter-Fahrt. Ab Hamburg immer rund um Kap Hoorn, dem wegen seiner Stürme am Rande des Eismeeres berüchtigten, äußersten Zipfel Südamerikas. Sie schaffte die Strecke ab Chile durch den Atlantik mit seinen
Kalmen bis Hamburg in durchschnittlich 70 Tagen
und konnte dabei 4600 Tonnen des begehrten Rohstoffs transportieren. Dampfschiffe waren zwar auch schon im Verkehr, aber die Windjammer haben diese zeitunkritische Ladung günstiger
und manchmal doch auch schneller geliefert.
Immerhin machten sie an guten Tagen 17 Knoten Fahrt, nur vom Wind und der Muskelkraft ihrer
Besatzung vorangetrieben. Zum Vergleich: Ein Containerschiff fährt heute auch mit 17–18 Knoten im Schnitt. Und ihre Ladekapazität entspricht der eines
aktuellen Küstenmotorschiffs. 115 Meter lang ist die „Peking“, weit größer als die „Rickmer Rickmers“,
und die Masten ragen 57 Meter in die Höhe. Stünde
sie direkt vor der Elbphilharmonie, würde man von der Plaza in die Masten aufschauen. Flying P-Liner wurden sie und ihre Schwesterschiffe ehrfurchtsvoll genannt: Die „Passat“ liegt in Travemünde, die „Pommern“ ist als Museumsschiff auf den Åland-Inseln gelandet, die „Padua“ oft unter dem Namen „Kruzenshtern“ als Schulschiff unter russischer Flagge zu Gast beim Hafengeburtstag und die „Pamir“, die 1957 tragischerweise in einem Hurrikan gesunken ist.
In Peking war die „Peking“ übrigens nie, aber es ist seit 1857 gute Tradition im Hause Laeisz, alle Schiffsnamen mit P beginnen zu lassen, zu Ehren der Reedersgattin Sophie Laeisz, deren liebevoller Spitzname „Pudel“ lautete, denn ihre Lockenpracht erinnerte wohl stark an den damaligen Modehund.
„Der Traum vom Zurückholen der ,Peking‘ ist fast so alt wie das Schiff selbst“, erzählt uns Niko Schües, der heute die Reederei F. Laeisz leitet. Und zum ersten Mal war das schon kurz nach Stapellauf notwendig, Ende des 1. Weltkriegs. Die „Peking“ war wie viele andere Frachtsegler vor Valparaíso „an die Kette“ gelegt worden, sollte im Rahmen des Versailler Vertrags an Italien gegeben werden. Doch da die Italiener so ein Schiff gar nicht segeln konnten, machte die Reederei ein Angebot: Unsere Mannschaft segelt das Schiff nach Europa, dafür geht die Frachtrate für die Ladung, die allein als Ballast zum Stabilisieren der Bark nötig ist, an uns. Der Gewinn aus dieser einen Ladung Salpeter, der in Deutschland nach dem Krieg dringend zur Herstellung von Dünger gebraucht wurde, ermöglichte der Reederei nicht nur den Rückkauf des Schiffs, sondern legte
auch den Grundstein für den Wiederaufbau der hauseigenen Flotte. Schon allein wegen dieser alten
Geschichte ist Schües dem Schiff eng verbunden und als Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Hamburg Maritim einer der Männer, die sich seit 2002 sehr dafür einsetzen, es wieder nach
Hamburg zu bringen.
2003 kam der Zufall ins Spiel. Bei der Transatlantik-Segelregatta DCNAC war der Jurist und derzeitige Vorstand der Freunde der Viermastbark Peking e.V. Henning Schwarzkopf an Bord der Jacht des damaligen Vorsitzenden des New York Yacht Clubs und Beirats des Seaport Museums
Larry Huntington mitgesegelt. Der bemerkte im Zieleinlauf in Hamburg beim Anblick der „Rickmer Rickmers“ sinngemäß: „So was haben
wir in New York auch, aber eigentlich würden wir’s gern verkaufen.“ Als Museumsschiff in die Vereinigten Staaten war sie 1974 gelangt, nachdem sie 42 Jahre – und damit die längste Zeit ihres
Lebens – eine sehr ehrenvolle Aufgabe als Inter-natsschiff „Arethusa“ für schwer erziehbare Jungs
in England hatte. Sie prägte diese Schüler, die wirklich hart rangenommen wurden, bis heute,
hat doch das strenge Regime dort vielen ein Leben auf der Straße erspart.
Schon 2001 hatten Reinhard Wolf, Syndikus der Handelskammer Hamburg, und der Kapitän Joachim Kaiser die Stiftung Hamburg Maritim ins Leben gerufen, die das maritime Erbe Hamburgs bewahren sollte. Kaiser ist ein echter Zupacker, man trifft ihn öfter im Blaumann (der in seinem Falle rot ist) als im blauen Jackett, und Experte für Schiffsrestaurierungen. Weswegen die Stiftung die „Peking“ auch für die Dauer der Restaurierung in ihr Eigentum übernimmt. Den Lotsenschoner „No. 5 Elbe“ hatten sie in Seattle erworben, auf dem Rückflug ein Zwischenstopp in New York, um die „Peking“ zu begutachten: beklagenswerter Zustand. Die 8-Millionen-Dollar-Forderung wurde später runtergehandelt auf einen Euro, aber es war von vornherein klar, dass die Überführung und Restaurierung das eigentliche Vermögen kosten würden. Es wurden Sponsoren gefunden, die jedoch wieder absprangen. Das Projekt stand kurz vor dem Aus. Und dann fegte Hurrikan Sandy 2012 über New York. Die „Peking“ überstand auch ihn relativ unbeschadet, obwohl der Klüverbaum quer über dem Franklin D. Roosevelt Drive lag. Doch das Seaport Museum war pleite. Dem Schiff drohte die Verschrottung – es wäre das ruhmlose Ende eines glorreichen Seglerlebens gewesen. Im entscheidenden Moment sprang die Politik in die Bresche. Die Hamburger Johannes Kahrs und Rüdiger Kruse (k.u.k.) gehören dem Haushaltsauschuss für Kultur und Medien im Bundes-tag an. Ihnen gelang es 2015, beim Bund 120 Millionen Euro für ein Deutsches Hafenmuseum in Hamburg lockerzumachen, 26 Millionen davon für dessen wohl größtes Exponat. Die Rettung des Schiffs und eine Sensation für die Stadt! Denn oft gehen Fördermittel in dieser Höhe für nationale Denkmäler nicht in den Norden, sondern nach Bayern, beispielsweise für neue Türen auf Schloss Neuschwanstein.
Die Politiker hatten alles erst möglich gemacht, die Unterstützer des Unternehmens legten
nun tatkräftig Hand an. Joachim Kaiser begleitete das Schiff 2017 auf seiner vorerst letzten Atlantik-Passage, huckepack auf dem Dock-Schiff „Combi Dock III“ von New York in die Elbe. In seinem Rotmann wachte Kaiser über die zentimetergenaue Einpassung. Die ukrainische Crew transportierte
ihre bisher größte Ladung. An Bord bei dieser Fahrt war auch Fotograf Jan Sieg. Er war vorher extra eine Tour auf einem Containerschiff gefahren, um zu testen, ob er auch seefest ist. War er, trotz sieben bis acht Meter hohen Wellen, Glück für uns. Und am meisten beeindruckte ihn, wie die Crew von ihrer alten Fracht in den Bann gezogen war: Sie schauten in der Messe den Film, den Captain Irving Johnson 1929 bei seiner ersten
Kap-Hoorn-Fahrt als junger Kadett an Bord drehte.
Ein wirklich sagenhaftes Dokument – wie die Mannschaft damals dieses Schiff durch einen Sturm von 100 Seemeilen Windgeschwindigkeit pro Stunde bewegte, sich durch 11.000 Seemeilen
gelitten und gekämpft hat … der Stolz, dieses Schiff
zu segeln, alles für die „Peking“ zu tun, ihr Leben zu riskieren. Ihr Motto war: „Das Schiff braucht dich“, auch wenn das Wasser waagerecht flog.
Die Decksarbeiter der „Combi Dock III“, sie gestanden offenen Mundes: „Das wär’ nix für mich.“ Sehen Sie sich den Film „The Peking Battles
Cape Hoorn“ an, zu finden auf YouTube! Der
Kapitän Dimitri Potrieschkin wünscht sich sehr, sie einmal im restaurierten Zustand in Hamburg
besuchen zu können.
Auf der Peters Werft in Wewelsfleth wird sie nun aufgearbeitet. Kaiser kämpft um jede Niete im Rumpf, die noch zu retten ist. Die Außenhaut ist in Teilen einwandfrei, an anderen Ecken kann man durch den verrosteten Stahl im Laderaum die Sonne scheinen sehen.
Vom Leben an Deck kann auch Mathias Kahl lebhaft berichten. Sein Vater begann als Schiffsjunge 1928 seine Kapitänslaufbahn auf der „Peking“ und erzählte: „Das Essen schmeckte, als hätte man das Deck geschrubbt und die Soße wieder aufgekocht.“ Diese Geschichten halten den Junior nicht davon ab, das Schiff zu lieben. Als Vorsitzender der Freunde der Viermastbark Peking e.V. hat er sich ebenfalls lange um ihre Verholung nach Hamburg bemüht. Der Verein trägt wesentlich zum Erhalt der „Peking“ bei, in Zukunft wohl noch viel mehr: Denn wenn die Profis in Wewelsfleth fertig sind, ist der museumsreife Zustand des Schiffs zwar für 15 – 20 Jahre gesichert, aber was zu tun ist immer. Und kein Schifffahrtsmuseum der Welt kommt ohne ehrenamtliche Helfer aus, die laufend wichtige Ausbesserungsarbeiten vornehmen oder die Besucher ins Bordleben einbinden. Die Freunde haben sich mit Börries von Notz, Alleinvorstand der Stiftung Historische Museen Hamburg, abgesprochen und werden für die „Peking“ da sein, wenn sie in den Besitz des Hafenmuseums übergeht.
Sie soll ein lebendiger Teil des Museums
werden, mit immer neuen Themen aufwarten, Kinder und Erwachsene gleichermaßen für die Seefahrt begeistern. Ein weiterer Abschnitt ihres bewegten Lebens steht an, in Schlepper-Obhut
soll dieses Industriedenkmal sogar wieder auf der Elbe kreuzen. Das unermüdliche Engagement
einiger Hamburger und auch ein Quäntchen Glück haben dies möglich gemacht.
DER HAMBURGER sagt Danke!