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Porträt –

Stefan Frey – Hafentaucher

 

 

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AUTOR: JÖRG FINGERHUT

FOTOS: TOMMY HETZEL

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Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 40

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Am Ende des Urlaubs in Nordafrika präzisierte er seine Vorstellung etwas: „Nur tauchen und Fische gucken fand ich zu langweilig. Ich brauch’ da unten schon auch etwas Action.“ Wir sitzen in seinem Büro in luftiger Höhe am Köhlbranddeich, den Blick direkt auf die gute alte Köhlbrandbrücke. Und bis auf seine auffällig muskulösen Arme sieht hier gerade so gar nichts nach Action aus, als wir zu Beginn des Gesprächs mit unseren Kaffeepötten anstoßen. „Wir trinken alle so gut wie keinen Alkohol. Deshalb ist es über die Jahre zum Ritual geworden, dass wir als Team zu Beginn eines Auftrags auf dem Schiff mit Kaffee anstoßen.“ Und Aufträge gibt es mehr als genug für Stefan und sein Team.


Seit er im Februar 2013 seine Firma gegründet hat, ist er nicht nur in Dauerbereitschaft, sondern quasi auch im Dauereinsatz. Sechs Festangestellte und mehr als 40 freiberufliche Taucher sorgen von zwei Schiffen aus und mit zwei Sprintern heute dafür, dass Spundwände in norddeutschen Häfen repariert werden, dass Bordwände von gigantischen Containerschiffen abgetaucht, geschweißt und abgedichtet werden, dass manövrierunfähige Schiffe wieder manövrieren können. Sie tauchen in Häfen, Klärwerken und Bohrschächten. Genauer gesagt: Sie tauchen dort nicht nur, sie verrichten unter Wasser Arbeiten, die schon ohne Wasser anstrengend und fordernd sind. „Man kann das damit vergleichen, in einem Fass Honig zu arbeiten.“ Nur dass im Wasser Sichtbedingungen und Temperaturen herrschen, die wirklich fast niemandem Spaß machen.

 

„Klar ist jeder Auftrag auf seine eigene Art fordernd. Aber wenn wir echt beißen müssen und den Job dann im Team erfolgreich beenden, dann gibt das auch ein tolles Gefühl.“


Ob es Einsätze gibt, die besonders fordernd sind? Stefan, der 2017 seinen Meister gemacht hat und auch ausbildet, überlegt kurz. Und dann beginnt er zu beschreiben, wie es ist, wenn er mit seinen Leuten in ein Bugstrahlruder tauchen muss, um die Propeller von Fremdkörpern zu befreien oder zu reparieren. Bugstrahlruder sitzen kurz hinter dem Bugwulst, also hinter diesen komisch dicken Nasen, die die großen Schiffe vorne haben. Im Bugstrahlruder sitzen das Getriebe und daran der Propeller, wo sich gern mal Leinen, Reifen oder sonstige Fremdkörper verfangen. Dann müssen Stefan und seine Jungs bei Sichtweiten von oft weniger als 50 Zentimetern runter. Durch große Gitter tauchen sie dann hinein in den Bugstrahlrudertunnel. Dabei sind die Gitter selbst bei den größten Containerschiffen nur so groß, dass die Taucher sich mit ihrer Montur wie Houdini winden müssen: ein Arm voraus, der zweite eng am Körper anliegend. Dazu muss er dann auf die Kabel und auf Schlauch und Leine aufpassen. Erst danach beginnt ja die eigentliche Arbeit. Zuletzt waren das mehr als 80 Meter Festmacherleine, die sie Zentimeter für Zentimeter aus dem Propeller schneiden mussten.


Alle Tauchgänge werden über eine Kamera, die an den gut zwölf Kilo schweren Helmen befestigt ist, gefilmt. Zum einen, weil der Taucheinsatzleiter an Bord so weiß, was unten los ist. Zum anderen natürlich auch, um dem Auftraggeber Transparenz bieten zu können. Sicherheit wird großgeschrieben. Ganz groß. Trotzdem ist die Situation unten im Bugstrahlruder prädestiniert für Angst und echte Panikattacken, die selbst erfahrene Taucher bisweilen erleben. Es ist kalt, eng und die Sicht ist sehr eingeschränkt. Man sieht nichts, verliert vielleicht die Orientierung und weiß, dass man eben nicht einfach und schnell wieder durch das Gitter zurück und nach oben kann. Stefan Frey und seine Taucher trainieren sehr gezielt, dieses aufkommende Gefühl zu beherrschen und sich auf Routinen zu verlassen. Und auf das Team. Das ist natürlich leicht gesagt. Wenn es einem plötzlich erst heiß und kalt wird, sich dieses Kribbeln aus der Körpermitte langsam ausbreitet, die Atmung hektischer wird. Wenn da nur noch der Drang ist, schnell raus- und schnell hochzukommen. Genau diesen Drang müssen die Taucher kontrollieren. Und gerade dann ist es wichtig, dass da auf allen Ebenen beruhigend kommuniziert wird.


Und auch, wenn wir mit Stefan sicher im trockenen Büro sitzen, vermittelt er mit jeder Pore überzeugend, dass Angst oder gar Panik mit ihm an der Seite überflüssig ist. Immer. Zudem reden die Männer – entgegen vieler Klischees – viel. „Wir sind ja keine Helden, sondern Arbeiter in Tauchklamotten.“ Gefahren werden nicht ausgeblendet oder ignoriert, auch Ängste werden durchaus besprochen. Unterstützt wird dieser Ansatz durch viel Geduld und Fingerspitzengefühl, was der Chef zu 100 Prozent verkörpert. „Wenn einer zum ersten Mal in ein Bugstrahlruder taucht, sage ich ihm, dass er nur einfach mal rein- und wieder raustauchen soll. Ohne gleich zu arbeiten. Wenn er dann zum zweiten Mal reintaucht, ist es schon fast wie nach Hause kommen.“ Leises Schmunzeln am Tisch. „Fast.“ Wichtig ist nur, dass derjenige, der einen Tauchgang mal unterbricht, weil sich echte Beklemmungen einstellen, nach einer kurzen Pause wieder runtergeht. Sonst setzt sich diese Angst fest. Hilfreich für eine möglichst entspannte und vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre ist da natürlich, dass es in seiner Firma durchaus eine recht große Schnittmenge aus Kollegen und Freunden gibt.


In ungefähr fünf Jahren will er vielleicht einen halben Gang runterschalten. Dann würde er sich tatsächlich mal ein paar Tage Urlaub gönnen. Etwas, das im vergangenen Jahr gar nicht geklappt hat. Oder er würde sich vielleicht das Schlafsofa neben dem Schreibtisch sparen und zum Feierabend öfter mal nach Hause fahren. Aber vielleicht braucht man einfach keinen Urlaub, wenn man morgens um 5.30 Uhr ins Büro kommt und zum Start in den Tag auf die Köhlbrandbrücke blicken kann. Stefan wirkt für sein Pensum jedenfalls ziemlich tiefenentspannt.

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