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Porträt –

Kemps

 

 

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AUTOR: DAVID POHLE 

FOTOS: RENÉ SUPPER

Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 31

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Ich trug meine Schuluniform, als ich in Hamburg ankam. Ich war zum ersten Mal geflogen, stieg zum ersten Mal in ein Taxi und hielt dem Fahrer einen Zettel mit der Star-Club-Adresse hin.“


Das war 1962, Gibson Kemp war 16, kam aus Liverpool und war trotz seines jugendlichen Alters einer der heißesten Schlagzeuger, die jemals auf St. Pauli spielen sollten. Rory Storm and the Hurricanes, damals eine der legendärsten Bands, die im Star-Club rockten, hatten ihren etatmäßigen Schlagzeuger, einen Typen namens Ringo Starr, gerade an eine Newcomer-Band aus Liverpool, die Beatles, verloren. Gibson sprang ein. Gibson kokettiert nicht übermäßig mit seinem Alter, aber gute – und die Betonung liegt auf gute – 70 ist er inzwischen auch. Jetzt steht er da, zwischen Tresen und Küche, Gibbo, die Schlagzeugerlegende, vielleicht ein bisschen linkisch, und wischt sich die Hände an seiner gestreiften Schürze ab. „I do the cooking, weißt du“, grinst er, und ich bin sicher, für diesen Gesichtsausdruck ist das Wort schelmisch erfunden worden. Gibbo ist jetzt Koch, aber nicht im Vierjahreszeiten, sondern im Kemp’s, seinem eigenen Laden, den sehr viele Leute als den besten englischen Pub der Stadt rühmen. „A hidden gem“, eine Perle, eher ein Juwel, schon sichtbar, aber von außen eher unschein­bar, klein und anständig versteckt am Mittelweg 27. Das mit dem „gem“ würde Gibbo, der Junge aus Liverpool mit den Hamburger Star-Club-Genen, natürlich nie sagen. Understatement, you know.

 

Im Fenster winkt eine solar betriebene Winke-Queen, daneben ein kleines, bestimmt angestaubtes Schlagzeug­modell, eine gelbe Dose Colman’s Mustard. Kitsch mit Methode. Wir sind drin, in einer anderen Welt. Dunkles Holz, kein Gelsenkirchener Barock, gescheuerte, massive Holztische, wo schon viele Pints standen, die Wände voller Devotionalien aus England und dem gelebten Leben, rechts der Tresen, dahinter Ruth, gute Seele, und Bonnie, wilde Tochter mit den irren Tattoos. Kaum drin, strauchel ich fast – draußen schien die Sonne und meine Augen haben noch nicht auf Publicht umgestellt – über die „alte, fette Lady“, die da getarnt und völlig nüchtern auf dem Teppich vorm Tresen liegt. Pubdog Paula (10) ist quasi im Kemp’s geboren. Auf den Schreck ein Bier. Vor der Craftbeer-Aufregung gab es hier schon britische Exoten wie Spitfire, Bishop’s Finger oder Old Speckled Hen. Da trank man allein der Namen wegen. Geblieben sind bis heute London Pride, bitterer als Newcastle Brown Ale. Guinness – it’s irish – gibt es aus der Dose. Tina stellt ein Newcastle auf den Tisch: „Okay, was willst du wissen?“ „Fang einfach mal an“, sage ich und Tina rast durch die anekdotengespickte Musikgeschichte und ihre Heroen. Das mit Ringo und den Beatles ist bekannt, aber dass Gibbo in erster Ehe mit Astrid Kirchherr, der Ver­lobten von Stuart Sutcliffe, dem tragisch verstorbenen fünften Beatle, verheiratet war, nicht. Kirchherr gilt bis heute als die Beatles-Fotografin, obwohl sie seit damals nie wieder fotografiert hat. Ihre Aufnahmen der Pilz-köp­fe verkaufen sich auf internationalen Auktionen zu Höchstpreisen, ein paar davon lehnen an der Wand.


Bewacht von der Queen, die im schmucken Rahmen darüber hängt. Man ist befreundet, doch Kirchherr war schon länger nicht mehr da. „One more Newcastle?“ „Gibbo und ich waren viel unterwegs, wir lebten in London, Sydney und Hilversum. Und immer wieder in Hamburg. Zuletzt hatten wir nacheinander zwei Pubs in England, der eine war von 1432, aber die Sehnsucht nach Hamburg wollte einfach nicht verschwinden.“ 2003 übernehmen er und Tina dann das über 100 Jahre alte, runtergerockte Traditionslokal Butt’n Dammtor. Die Verkäuferin ist Doris Bockhorn, Schwester des Kiezprin­zen Dieter und damit auch quasi Schwägerin von Kult-Uschi Obermaier, die über eine Nacht im Bett mit Rolling Stone Mick Jagger lapidar sagte: „Hat Spaß gemacht.“ Sie eröffnen unter eigenem Namen als Kemp’s. Eine Idee von Tochter Bonnie. Auch Tina ist in der Musikszene keine Unbekannte, sie – bildschön und mit schwedischen Wur­zeln – war bis 1974, neben Jürgen Drews, ein Teil der Les Humphries Singers, die mit „Mexico“ den bekannten Ohrwurm schufen. Steven Kavanagh, die One-Man-Folk-/Rockband aus Dublin, hat inzwischen aufgebaut, es ist Donnerstag, und das ist der gesetzte Live-Music-Abend. Bei „Riders on the Storm“ reitet Tina durch das Kemp’s, „Fields of Athenry“, eine irische Hymne, angeblich von einem Engländer geschrieben, ergreift.

 

Noch ein Newcastle. Tina ist hier die Frontfrau, kennt alle, hat für jeden
ein nettes Wort und für viele eine Umarmung mit Küss-chen. Das Kemp’s ist für viele der bunten Gästeschar auch ein Wohnzimmer. Nur geselliger. Gibbo, ganz der Schlagzeuger, im Hintergrund, aber unverzichtbar, zaubert derweil in der kleinsten Küche des Empire, mit etwas Fantasie, auf zwei Quadratmetern. Trotzdem kommen aus ihr – so ein viel gereister Lufthansa-Pilot am Tresen – die besten Currys außerhalb Asiens. Außerdem gibt’s Cottage Pie mit Rind, Shepard’s Pie mit Lamm, knackige Chilis in mächtigen Portionen. Darauf ein letztes Newcastle. For the road.

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