top of page

Porträt –

Wiegand und Wasser

 

 

AUTORIN: HEIKE GÄTJEN

FOTOS: GIOVANNI MAFRICI

Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 37

» MAGAZIN BESTELLEN

Er wirkt wie aus der Zeit gefallen. Detlev Wiegand, Inhaber der Gravur- und Beschriftungswerkstatt, Beim Schlump 55, in Hamburg-Eimsbüttel. Ein Verfechter der traditionellen Gravuren und Liebhaber des Kunsthandwerks. Monogramme und Wappen auf Edelmetalle gravieren, Petschafte herstellen und fachliche Gravuren auf fast alle Gegenstände bringen. Designerstücke bekommen hier ihre ganz persönliche Note. Das ist seine Welt. Die wenigen Graveure, die in Hamburg noch verblieben sind, arbeiten zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Vermeintliche Konkurrenten, wie Schlüsseldienste und der Schuster von nebenan, werden von ihm nicht als Graveure bezeichnet und sind für ihn in der Ausführung eher Negativbeispiel. Aber der Kunde hat schließlich die Wahl …


Gravuren, zugeschnitten auf die jeweilige Persönlichkeit – Ehrensache für Meister Wiegand. Die Beratung ist die Visitenkarte des Betriebs. Vertrauen und Qualität sein Credo. Wie bei einem hautnahen Tattoo. Der schlichte Verkaufsraum vor der Werkstatt beweist, dass er längst im „Heute“ angekommen ist. Neben diversen Kundenartikeln steht dort unter anderem ein verpackter Edelstahlspaten, der auf dem Blatt graviert werden soll. Selbstverständlich auf Tiefe gefräst und nicht geritzt oder bedruckt. Bei einer Champagnerschale aus Edelstahl mit 40 cm Durchmesser muss er passen. Er kann sie maschinell nicht einspannen und wegen der Härte des Materials nicht von Hand stechen. Bei seiner Sehnsucht nach den guten alten Handwerkszeiten hat er längst Abstriche gemacht. Mittlerweile stehen auch hier in seiner Werkstatt computergesteuerte Graviermaschinen, aber auch manuell bedien­bare Maschinen. Seit dem Einstieg seines Partners Thomas Wasser 2010 wird auch der industrielle Bereich mit angeboten. In der nunmehr vierten Generation kommt demnächst die Erweiterung der Laserbearbeitung hinzu. Ein durchaus existenzbeeinflussender Aspekt.
Unter den wenigen in der Hamburger Handwerksrolle eingetragenen Graveurbetrieben muss auch der Romantiker Wiegand der modernen Technik seinen Tribut zollen. Zum Ende des Jahres ist eine größere Betriebsfläche und die Fusion mit einem auf Laserbearbeitung spezialisierten Betrieb geplant. Dann gibt es – für den, der das schön findet – auch die Sylter Sansibar-Champagnerflasche mit persönlicher Widmung, Monogramm oder sogar Familienwappen.

 

Und da sind wir wieder bei den guten alten Zeiten, bei der damals noch üblichen Zusammenarbeit mit namhaften Juwelieren und den großen deutschen Adels­häusern. Angefangen hat alles im Jahr 1887 als
„Gravieranstalt Janssen“, in einer Werkstatt im ersten Stock, am oberen Ende der Colonnaden. Von Meister zu Meister wurde der Betrieb weiter-
gegeben. Vor Detlev zog 1969 sein Ausbildungsmeister und Vater Wolfram Wiegand von den Colonnaden an die heutige Adresse nach Eimsbüttel. Damals schon ein renommierter Betrieb für feinste Flachstichgravuren.
Vom gravierten Stecknadelkopf bis zur Kleinserien­produktion war damals – und ist bis heute – alles möglich, sagt Wiegand und man glaubt ihm jedes
Wort. Ein Qualitätsmerkmal ist die Glätte einer Gravur. Raue und kratzige Gravuren lassen meist auf stumpfes oder falsch angewandtes Werkzeug schließen. Eine Handgravur wirkt durch die in der Tiefe angebrachten,
verschiedenen Winkel lebendig. Sie verändert sich im Licht. In winzigen Nuancen. Bei einer Stichtiefe von etwa ein/zwei zehntel Millimetern. Atemlos von dieser Gefühlswallung geht es in seine Werkstatt. Vorbei am
Maschinenpark und Computern steigen wir über eine knarzende Holztreppe in den ersten  Stock. Hier oben ist Wiegands Refugium. Eine große, schwere Eichenplatte. Der ehemalige Arbeitsplatz seines Vaters mit Flach-
stichel, Spitzstichel, Schaber, Polierstahl und Arbeitsmulde ist jetzt sein Arbeitsplatz. Hier warten die Gegenstände darauf, dass ihnen Leben eingehaucht wird. Ganz wie in alten Zeiten. Laufkundschaft gibt es hier wenig. Stammkunden viele. Manche auch schon in der dritten Generation.

 

Atemlos Vorbeihetzende mutieren immer öfter zu entspannten Lieb­habern zeitaufwendiger Handarbeit. Bereit, auch dafür zu zahlen. Nein, reich
würde man von diesem Beruf nicht, aber leben könne man darin und davon. Das reiche ihm. Dem Graveurmeister Detlev Wiegand, der bis vor zehn Jahren noch Lehrlinge ausbildete, dessen Herzblut in jedem Schriftzug bubbert. Und, ach ja, ganz kurz noch dies: Wenn nun die Liebe zerbricht, Sophie oder Theo nur den Ring, das Familiensilber oder die Taschenuhr mit Monogramm schnaubend zurücklässt. Was dann? Ganz einfach: ausschleifen, glätten, polieren. Bereit für Neues. Und das kam „damals“
selbst in den besten Familien vor. Auch in Hamburg. In der Gravieranstalt Janssen, nahe des Jungfernstiegs.

bottom of page