100/200 Kitchen
SPOTLIGHT BRANDSHOFER DEICH
Text: Simone Rickert | Fotos: Giovanni Mafrici
Diesen Artikel finden Sie in unserer Ausgabe 62
Das Brot duftet, Radieschen und Vogelbeeren stehen zum Einwecken und Fermentieren in den offenen Regalen – für Thomas ist seine Küche nur logisch, so wie bei Oma und Opa: „Wir machen alles selbst.“ Die hohen Auszeichnungen als Koch und als Sommelière hat das Paar nie bewusst angestrebt – sie sind Konsequenz aus ihrem täglichen Tun. Vier der lokalen Saison folgende Menüs kreiert Thomas als „carte blanche“ jährlich: „Eine sehr schlichte, aber halt doch auch komplexe Küche.“
Ultra-sensorisch sind seine Gerichte komponiert, in ausgeklügelten Texturen, Lagen und in sekündlich abgestimmten Zeitkapseln entfalten sich die vier Elemente süß, sauer, salzig und umami auf den Zungen der Gäste. Jeder Happen ist eine eigene Note, die Stücke tragen bodenständige Decknamen wie Käsetoast oder Kanalarbeiterschnitte.
Das Paar komponiert sie zu begleitenden Weinen oder hauseigens bereiteten rauschfreien Getränken zu einem veritablen Opus. Ihr Menü entsteht beim Betrachten eines Kunstwerks, bei Musik oder einfach in einem besonderen Abendlicht auf der Kennedybrücke. Und dann geht das Wine-Food-Pairing los: „Wir sprechen im Bett, im Badezimmer, beim Kinderanziehen, die Stichworte fetzen durch die Luft. Schwarzer Knoblauch, Erbse. Ja, Chenin blanc, der Bienenwachs betonte Pinot noir. Dann Dill dazu.“ Alltag mit drei Kindern und zwanzig Angestellten, als Arbeit empfinden sie das nicht.
Thomas stammt aus Friesland, Sophie aus Mecklenburg, für das Projekt „100/200“ haben sie sich in der Mitte getroffen – verliebt, ineinander und in die Stadt, die auch sie als die schönste der Welt bezeichnen. Den Brandshofer Deich kannte Thomas vom Radfahren: „Hier war kein Dach drauf, keine Fenster, aber es war Liebe auf den ersten Blick.“ Das Panorama der Stadt, der Charme des Gebäudes. Das „Essen“, wie Thomas schlicht sagt, mache nur ein Drittel des Erlebnisses für den Gast aus. Tatsächlich ist es die Atmosphäre, die Brigade im Herzen des Raumes am Molteni, der unverstellte Service, Biskuitporzellan, Silber und besonders das herzliche Willkommen, die einen Besuch hier zu einem unvergesslichen kulturellen Erlebnis machen. Ein Gesamtkunstwerk wie ein Konzert: Nie pure Harmonie, dazu kommt dieses Kitzeln – wie bei einem guten Flirt.